Oberösterreichische Nachrichten
Hitler-Verehrer Asahara festgenommen

17.05.1995

Nachdem die Polizei den Guru festgenommen hatte, explodierte im Rathaus von Tokio eine Briefbombe.


Von Tina Stadlmayer

Die schlimmsten Befürchtungen von Polizei und Justiz wurden wahr: Wochenlang hatten die Richter aus Angst vor Vergeltungsschlägen gezögert, einen Haftbefehl gegen Shoko Asahara (40), den mächtigen Führer der Sekte "Höchste Wahrheit", auszustellen. Wenige Stunden, nachdem die Polizei den Guru endlich festgenommen hatte, explodierte im Rathaus von Tokio eine Briefbombe.

Eine Augenzeugin sagt: "Ich hörte einen schrecklichen Knall und sah, daß dem Mann, der den Umschlag geöffnet hatte, die Hand weggerissen wurde." Der Brief mit der Bombe war an Bürgermeister Yukio Aoshima gerichtet.

Sämtliche Fernsehstationen waren live dabei, als Polizisten in Kampfanzügen die Eisentüren zur Wohnung des Gurus mit Motorsägen öffneten. Vier Stunden lang suchten sie in einem Labyrinth von Geheimgängen nach dem Guru. Sie entdeckten ihn schließlich in einem geheimen Raum zwischen zwei Stockwerken. Asahara saß im Lotussitz auf einem Kissen und meditierte. Ein Polizist trat auf ihn zu und sagte: "Sie sind unter Mordverdacht verhaftet." Der Guru erhob sich widerstandslos und brummte: "In Ordnung, ich komme." Dann schnauzte er einen Polizeiarzt, der ihm den Puls messen wollte, an: "Berühren Sie mich nicht, das dürfen nicht einmal meine Jünger." Der angeblich schwerkranke Guru machte einen völlig gesunden Eindruck "Wie könnte ich mit meinen schlechten Augen eine solche Tat begehen?" fragte er die Polizisten, als sie ihm vorwarfen, für den Giftgasanschlag in der U-Bahn verantwortlich zu sein.

Aber die Anhänger des Gurus hatten die Befehle ihres Gebieters fein säuberlich in ihre Notizbücher geschrieben. Die Hefte fielen der Polizei in die Hände, als sie Sektenmitglieder verhaftete. Die Notizbücher geben Aufschluß über die wahnsinnigen Ziele der Sekte. Asahara habe die Produktion des Kampfgases persönlich angeordnet, schrieb ein Sektenmitglied. "Wir haben keine andere Wahl als zu kämpfen", schrieb ein anderer Anhänger des Guru, und "Ein Panzer kostet 200.000 Dollar, was kostet ein Atomsprengkopf?" Die Sekte hatte der gesamten japanischen Gesellschaft den Kampf angesagt und plante offenbar einen Staatsstreich, um an die Macht zu kommen.

Hitler-Verehrer Asahara sagt in seinen Schriften voraus, nach dem Dritten Weltkrieg werde unter seiner Führung ein tausendjähriges Reich entstehen. Nur er und seine Anhänger hätten eine Chance, den Krieg zu überleben. Sekte hat Milliarden Shoko Asahara steht an der Spitze eines Wirtschaftsimperiums, dessen hochqualifizierte Wissenschafter sich unter Verzicht auf persönlichen Besitz dem Guru bedingungslos unterordnen. Das Vermögen der Sekte "Höchste Wahrheit" wird auf 12 Milliarden Schilling geschätzt. In Japan soll die Sekte 10.000 Anhänger haben. In Rußland konnte Asahara mehr als 30.000 Menschen in seinen Bann ziehen. Außenstellen existieren in Bonn, New York, auf Sri Lanka und in Australien, wo das Nervengas Sarin an Schafen getestet worden sein soll. Im Hauptquartier in Tokio beschlagnahmte Dokumente über den neuesten technologischen Stand zur Anreicherung von Uran bestätigen, was Experten schon lange vermutet haben: Unter dem religiösen Deckmantel und jenseits des Personenkults um den Führer beschäftigt sich die Sekte vor allem mit der Produktion von Massenvernichtungswaffen.

Shoko Asahara, der langhaarige, bärtige und fast blinde Guru, gründete die Sekte "Höchste Wahrheit" 1984 - angeblich nach Askese, Studium des Mystizismus im Himalaja, Erleuchtung und außersinnlicher Erfahrung. In endzeitlichen Prognosen hat er für 1997 oder 1999 der Welt den in der Bibel geweissagten Entscheidungskampf zwischen Gut und Böse vorausgesagt. Der 40jährige, der mit bürgerlichem Namen Chizuo Matsumoto heißt, kam in einem kleinen Dorf im Süden Japans als sechstes von sieben Kindern eines Tatami-Matten-Herstellers zur Welt.

Nach dem Besuch der Blindenschule versuchte er sich zunächst als Akupunkteur. Nach kurzer Mitgliedschaft in einer Sekte, die mit dem Verkauf von dubiosen Heilmitteln viel Geld verdiente, machte er ein eigenes Geschäft mit Gesundheitsmitteln auf. 1982 wurde er wegen Quacksalberei verhaftet und zu einer Geldstrafe verurteilt. 1990 kandidierten Asahara und 24 Aum-Mitglieder mit ihrer "Wahrheitspartei" bei den Wahlen zum japanischen Unterhaus. Der Versuch, in die Politik einzusteigen, scheiterte. Seine ärmliche Herkunft, die wegen der Behinderung schwere Schulzeit und begrenzten beruflichen Aussichten sowie der Zusammenprall mit der Polizei dienen als Erklärung für seinen Antrieb, nach oben zu kommen.

Asahara, verheiratet und Vater von vier Töchtern und zwei Söhnen, ist angeblich schwer krank und leidet an Leberzirrhose und Herzbeschwerden. Anders als seinen Anhängern gönnte sich der Guru einen luxuriösen Lebensstil, weil er "bereits erleuchtet" ist. Nach einem Handbuch über seine Erwartungen bei Reisen und Besuchen müssen Hotelzimmer geräumig und hell sein. Bei Ankunft in Begleitung seines ständigen Trosses von 20 Leuten erwartet er Blumen und eine Schale mit Obst, darunter 15 süße Äpfel und geschälte Melonen. Apfelsaft trinkt er nur frisch gepreßt. Das Wasser, in dem er badet, muß aufbewahrt werden. Anhänger können es dann abgefüllt kaufen. Zu seinem Fuhrpark gehören u. a. ein Rolls-Royce, ein Cadillac und ein Mercedes.

17.05.1995 / Tina Stadlmayer

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