Spezialitäten aus der Räuberhöhle

19.01.2012

Rumänien, Partnerland der Grünen Woche, wirbt mit seinen Volkslegenden


Von Tina Stadelmayer

Ganz früher, als es noch keine Viehtransporter gab, trieben die rumänischen Bauern ihr Vieh zu Fuß zum Markt. Über Stock und Stein, vorbei an Wiesen und Wäldern. Und weil es damals auf den Straßen reiche Bauern gab und hinter den Bäumen hungrige Räuber lauerten, kam so manches Schaf niemals an in der Stadt. Die Diebe machten, um nicht überführt zu werden, aus den Tieren schnell Trockenwurst. So die Legende. Heute gibt es in Rumänien zwar kaum noch Räuber, aber die gute alte Plescoi-Trockenwurst, die gibt es noch immer.

Rumänien ist in diesem Jahr das Partnerland der Internationalen Grünen Woche, der Agrar- und Ernährungsmesse, die morgen in Berlin beginnt. Der südosteuropäische Staat gehört seit 2007 zur EU. „Deutschland ist unser wichtigster Handelspartner, und viele deutsche Unternehmen investieren bei uns“, sagte Landwirtschaftsminister Valeriu Tabara vor der Eröffnung. Sein Land exportierte 2010 Getreide, Obst und Gemüse im Wert von 92 Mio. Euro nach Deutschland. Eine gute Menge, aber nichts, was den hiesigen Gaumen überraschen oder irritieren könnte.

Das setzen die Rumänen nun den Besuchern der Grünen Woche vor – Gerichte, die sie seit Jahrhunderten selbst essen, für die sie hier aber kaum bekannt sind: karpatisches Bärenfleisch, Hirschsteak, Truthahnsülze, die landesüblichen Apfel-, Kürbis- und Quarkkuchen. Typisch ist auch die Plescoi- Trockenwurst. Ion Ghita, der sie heute herstellt, hofft, dass die alte Geschichte mit den Räubern bald hilft, seine Wurst auch im Ausland zu verkaufen. Das Topoloveni Pflaumenmus hat es schon geschafft: Es wurde als erste rumänische Spezialität von der EU als „geschütztes Traditionsprodukt“ anerkannt. „Das Mus wird nach einem 100 Jahre alten Rezept zubereitet“, erklärt Bibiana Stanciulov, Chefin des Herstellers Sonimpex. Ihr Unternehmen kochte 2010 aus vier verschiedenen Pflaumensorten etwa 200 Tonnen Mus.

Die Nahrungsmittelproduktion ist für Rumäniens Wirtschaft ein wichtiges Standbein. Nachdem die Gesamtproduktion des Landes in den Jahren 2009 und 2010 wegen der Wirtschaftskrise stark sank, kam 2011 die Erholung – vor allem auf dem Agrarsektor. Doch Rumänien führt deutlich mehr Güter ein als aus, auch Fleisch, Obst und Gemüse. Nur beim Getreide ist es Nettoexporteur. Mit 8,3 Millionen Hektar hat Rumänien die viertgrößte Agrarfläche der EU. Der Weinanbau spielt dabei eine wichtige Rolle. Die Anbaugebiete zählen zu den ältesten der Welt, gemeinsam mit Portugal ist es weltweit der elftgrößte Weinproduzent.

Kein Geld für Chemie

Knapp die Hälfte der 21,6 Millionen Rumänen lebt auf dem Land, ein Drittel aller Beschäftigten arbeitet in der Landwirtschaft – in Deutschland sind es nur drei Prozent. Doch die Produktivität ist gering, denn die großen Betriebe arbeiten mit veralteten Methoden, mancher Kleinbauer beackert seine Felder noch mit Pferden. Immer mehr fruchtbare Ländereien werden jedoch inzwischen von ausländischen Investoren gekauft, vor allem von italienischen, amerikanischen, britischen und österreichischen Konzernen. Die arbeiten mit modernen Maschinen, verwenden Dünger und Pestizide. Für teure Chemieprodukte haben die rumänischen Kleinbauern oft kein Geld. „Viele Menschen denken, dass die kleinbäuerlichen Betriebe nachhaltig wirtschaften. Das trifft sicherlich für die Regionen im Gebirge zu“, sagt Agraringenieur Wolfgang Raddatz, der in Rumänien ökologischen Landbau unterrichtet. „Doch es fehlt das Fachwissen in der Pflanzenproduktion und in der Tierhaltung, um wirklich nachhaltig zu arbeiten.“ Kaum verbreitet sind zum Beispiel Fruchtfolgen, die den Nährstoffgehalt des Bodens erhalten.

So kommt es, dass das früher für seine Agrarprodukte berühmte Land heute viele Nahrungsmittel im Ausland einkauft. Sogar Knoblauch – denn auch die Knollen aus China haben sich als Schutz vor Vampiren bestens bewährt.

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