Japan: Geschlossen zur Macht

12.12.1994

Der neue Oppositionsblock unterscheidet sich programmatisch kaum von der Regierung


Von Tina Stadlmayer

Die Neue Fortschrittspartei war noch nicht gegründet, da lagen sich ihre Führer schon in den Haaren. Streitthemen waren nicht die politischen Inhalte, sondern wer das breite Bündnis aus neun Parteien anführen soll. Das Gespann, das die Mitglieder der neuen Oppositionspartei schließlich an die Spitze wählten, ist den meisten Japanern gut bekannt: Vorsitzender der neuen Partei ist Ex-Premierminister Toshiki Kaifu. Sein Generalsekretär heißt Ichiro Ozawa. Dieses Duo, das bei den nächsten Unterhauswahlen der amtierenden Großen Koalition aus Liberaldemokraten und Sozialisten die Macht streitig machen will, hat Japan schon einmal regiert: Von 1989 bis 1991 war Kaifu Vorsitzender der Liberaldemokratischen Partei (LDP) und Premierminister; Ozawa war LDP-Generalsekretär. „Das Team Kaifu-Ozawa steht für die alte LDP“, unkte denn auch hämisch der jetzige LDP-Generalsekretär Yoshiro Mori. Sein sozialistischer Amtskollege Wataru Kubo blies ins selbe Horn: „Die Leute könnten den Eindruck bekommen, daß es nun zwei LDPs gibt.“

Tatsächlich haben es die meisten Japaner längst aufgegeben, nach Unterschieden zwischen den neuen und den alten Parteien zu suchen. Alle bekannten Politiker in der Neuen Fortschrittspartei sind ehemalige LDP-Leute. Mit von der Partie sind die Mitglieder von Ozawas Erneuerungspartei, der Neuen Japan Partei, der Demokratischen Sozialisten, der buddhistischen Komeito Partei und drei weiterer kleiner Parteien. Einzig der Wille zur Macht brachte die neun Oppositionsgruppen zusammen. Insgesamt hat die Neue Fortschrittspartei 187 Abgeordnete und ist damit zweitgrößte Fraktion im Unterhaus.

Drahtzieher der Vereinigung: Ichiro Ozawa. Er war es auch, der mit dem Austritt einer Gruppe von Gleichgesinnten aus der LDP im vergangenen Jahr den ersten Machtwechsel seit 38 Jahren herbeiführte. Doch der frische Wind, der mit der Regierung des Premierministers Morihiro Hosokawa durch die japanische Politik wehte, legte sich allzu schnell wieder. Hosokawa stürzte über einen Finanzskandal. Bald darauf übernahmen die Liberaldemokraten wieder die Macht – diesmal gemeinsam mit den Sozialisten. Die neugegründete Oppositionspartei wirft der Regierungskoalition vor, daß die begonnenen Reformen entweder verwässert oder ganz zum Stillstand gekommen seien. „Japans soziale, politische und wirtschaftliche Strukturen müssen umgekrempelt werden“, forderte Toshiki Kaifu nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden. Bereits 1989 hatte er als LDP-Ministerpräsident versucht, politische Reformen durchzusetzen. Damals war er am Widerstand der Konservativen in der eigenen Partei gescheitert. Desillusioniert trat er im Juni aus der LDP aus.

Inzwischen ist ein neues Wahlrecht in Kraft – der eigentliche Grund, warum sich die völlig unterschiedlichen Oppositionsparteien zur Neuen Fortschrittspartei zusammengeschlossen haben. Denn die Einführung von Direktmandaten wird dazu führen, daß ein Kandidat nur dann eine Chance hat, wenn er von einer großen Partei oder einem breiten Bündnis unterstützt wird. Bislang traten in einem Wahlkreis mehrere Kandidaten ein und derselben Partei gegeneinander an. Mangels unterschiedlicher Argumente versuchten sie ihre Wähler mit Geld- und Sachgeschenken zu überzeugen. Daran wird sich wohl auch in Zukunft nichts ändern: Obwohl diesmal voraussichtlich drei große Parteien – die Neue Fortschrittspartei, die LDP und die zu Sozialdemokraten gewandelten Sozialisten – gegeneinander antreten werden, haben sie kaum unterschiedliche Programme zu bieten.

Die Prinzipien der Sozialdemokraten lauten: „Friede, Gerechtigkeit, Solidarität und Kreativität.“ Die Ziele der Neuen Fortschrittspartei klingen ähnlich: „Kreativität, Internationalität und Reform.“ Parteisprecherin Yuriko Koike versprach zwar „ein Programm, das sich deutlich von anderen unterscheidet“. Doch die PR-Frau schränkte ein: Sie „hoffe“, daß es ein solches Programm geben werde. Denn bislang konnten sich die unterschiedlichen Gruppierungen innerhalb der neuen Partei nicht einigen. Und es wird schwierig werden, sich zu profilieren, denn auch die Liberaldemokratische Partei versucht sich ein neues, reformfreudiges Image zu geben. Viele Japaner reagieren verwirrt auf die alten Parteien im neuen Gewand und das allseitige Reformgerede. Enttäuscht, daß es keine wirklichen Alternativen gibt, kann sich über die Hälfte der Bevölkerung für keine der Parteien entscheiden.

HOFFNUNGSTRÄGER: Toshiki Kaifu, 63; Jurist und Politiker; 1989 bis 1991 Premierminister und Vorsitzender der LDP; 1994 tritt er aus der LDP aus. Erster Vorsitzender der neugegründeten Neuen Fortschrittspartei, einem Zusammenschluß von neun Oppositionsparteien Programm: „Japans soziale, politische und wirtschaftliche Strukturen müssen umgekrempelt werden.“

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