Richard von Weizsäcker und Kenzaburo Oe

15.08.1995

Richard von Weizsaecker gilt in Japan als eine Symbolfigur fuer die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte.


Richard von Weizsaecker hat in Japan viele Fans. Achttausend Leute wollten eine Karte fuer die Veranstaltung mit dem frueheren Bundespraesidenten in der japanischen Millionenstadt Nagoya - aber nur 1500 Zuhoerer passten in den Grossen Saal des Kulturzentrums. Die komplette germanophile Elite des Landes war zur Diskussion zwischen Weizsaecker, dem Literaturnobelpreis- Traeger Kenzaburo Oe, dem Kulturkritiker Shuichi Kato und dem Autor Yoshikazu Sakamoto angereist.Seine treuesten Fans hat der konservative Weizsaecker in Japans sozialistischer Partei: Parlamentspraesidentin Takako Doi "schaetzt ihn sehr" und die Abgeordnete Kiyoko Kusakabe haelt ihn fuer eine "moralische Instanz". Alle kennen die Rede, die er als Bundespraesident vor zehn Jahren zum 40. Jahrestag des Kriegsendes hielt. Auch der sozialistische Premierminister Tomiichi Murayama beglueckwuenschte den Ex-Praesidenten: "Diese Rede hat grossen Eindruck auf mich gemacht." Er sei gerade dabei, seine eigene Ansprache zum 50. Jahrestag des Kriegsendes zu verfassen und die Rede aus diesem Anlass noch einmal genau gelesen. Auch die japanischen Medien zitieren immer wieder Weizsaeckers Worte von 1985. Sie berichteten ausfuehrlich ueber jede Station der Japan-Reise des Ex-Bundespraesidenten: Tokio, Besuch beim Premier, Besuch beim Kaiser, Hiroshima, Nagoya.Auf der Veranstaltung "Fuenfzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg - Was wir aus der Geschichte lernen" empfingen die Zuhoerer den Ex-Praesidenten mit langem Beifall.Ein Moderator stellt ihn als "fuehrende Persoenlichkeit des deutschen Volkes" vor. Weizsaecker ist fuer die fortschrittlichen Japaner eine Symbolfigur fuer die aktive Auseinandersetzung mit der Geschichte. Dessen ist er sich bewusst. Ganz unbescheiden weist der Deutsche darauf hin, dass er mit seiner Rede 1985 einen Stein ins Rollen gebracht habe. Hoeflich, aber bestimmt mahnt er die japanischen Politiker, sich offener mit der kriegerischen Vergangenheit ihres Landes auseinanderzusetzen. Er berichtet vom Bemuehen der Deutschen, sich mit den Nachbarlaendern zu versoehnen und weist immer wieder auf die Parallelen zwischen Deutschland und Japan hin: "Im Zweiten Weltkrieg haben unsere Voelker ihre Interessen ohne Moral vertreten." Dadurch haetten sich beide Laender sehr geschadet und ihre Nachbarn "gegen sich vereinigt": "Wir tun gut daran, diese Fehler der Vergangenheit zu erkennen." Weizsaecker berichtet, einige deutsche Nachbarlaender haetten Bedenken gegen die Wiedervereinigung angemeldet, weil sie sich "vor einem wiedererstarkten, nationalistischen Deutschland" fuerchteten. Deutschland habe diese Aengste beschwichtigen koennen, indem es seine Einbindung in die Europaeische Union und in die Nato betonte. Der japanische Sozialphilosoph Shuichi Kato merkte an, Japan sein es dagegen noch nicht gelungen, das Misstrauen der Nachbarn abzubauen: "Bei den asiatischen Laendern hat Japan immer noch ein schlechtes Image." Deshalb sei es wichtig, dass das Land fuer seine kriegerische Vergangenheit geradestehe. Aber: "Wir besinnen uns nur selten darauf, welche Schaeden wir in Korea und China angerichtet haben." Allein in China seien 20 Millionen Menschen dem japanischen Militaerismus zum Opfer gefallen. Die junge Generation muesse darueber genau Bescheid wissen, denn sie werde auch in Zukunft mit dem Misstrauen der ehemaligen Kriegsgegner konfrontiert werden.Der Schriftsteller Oe sah es aehnlich: "Die Lehrer muessen ihre Schueler ueber die Angriffskriege unterrichten." Er teile die Ansicht vieler Japaner nicht, "dass die Kinder durch die Wahrheit entmutigt werden". Deutschland habe "in den vergangenen fuenfzig Jahren aus dem Krieg gelernt und das in Taten umgesetzt". Japan muesse diese Aufgabe in den kommenden fuenfzig Jahren bewaeltigen. Fuer seinen Satz: "Wir sind beeindruckt, wie die Deutschen das gemacht haben und wollen uns dies zum Vorbild nehmen", bekam Oe starken Beifall.

Autor Sakamoto ergaenzte, nicht nur in der Schule, sondern auch in der Familie muesse ueber die Geschichte geredet werden. Den jungen Menschen muesse klargemacht werden, "dass sie gegenueber den Nachbarlaendern Veranwortung tragen", sonst bestehe die Gefahr, dass sich die Geschichte wiederhole.Weizsaecker berichtete von den "guten Erfolgen" der polnisch-deutschen und der tschechisch-deutschen Schulbuchkommissionen. Zeitgeschichte werde in Deutschlang inzwischen "in vollem Umfang" gelehrt. Er kritisierte jedoch, dass die Schueler in Deutschland wie in Japan "zuviel Wissen pauken und der harte Wettbewerb schon im Kindesalter beginnt". Die Menschen in beiden Laendern seien "fleissig" und vom Prinzip der Marktwirtschaft gepraegt: ". . . manchmal beinahe zu sehr." Sie sollten sich darauf besinnen, "solidarisch miteinander unzugehen". Die wichtigste Aufgabe der Zukunft sei "das Zusammenleben der Voelker ohne gewaltsame Konfrontation".Ein japanischer Student aus dem Publikum fragte Weizsaecker, was es mit der "neuen Nazibewegung in Deutschland" auf sich habe. Es gebe keine solche Bewegung, versuchte der Ex-Praesident das Phaenomen herunterzuspielen: "Eine kleine Gruppe radikaler Jugendlicher, die kein besonderes politisches Programm haben, moechte Aufmerksamkeit erregen." Anders als frueher sei heute die "grosse Mehrheit der Bevoelkerung an der Abwehr solcher Provokationen" beteiligt. Die Haltung der Deutschen gegenueber Auslaendern habe sich "entscheidend verbessert". Sein Fazit: "Die Bevoelkerung hat aus der Vergangenheit gelernt." Die grosse Zahl der Fluechtlinge, die nach Deutschland kaemen, "weil es uns wirtschaftlich relativ gut geht", sei eine Herausforderung fuer die Demokratie: "Wir koennen sie nicht an der Grenze abweisen." Die Deutschen muessten Toleranz gegenueber der Kultur und der Religon der Fluechtlinge aufbringen: "Einfach ist das nicht." Aber: Wer die Minderheiten in seinem Land nicht achte, zeige, "dass seine Demokratie im Inneren nicht ueber die noetige Kraft verfuegt."In Nagoya hatte es Weizsaecker einfach: Seine Fans im Publikum stellten ihm liebenswuerdige Fragen, wie: "Muessen wir nicht alle dazu betragen, dass die Umwelt geschuetzt wird?" Weizsaecker: "Ja, wir muessen." Vor dem "Nationalen Presseklub" in Tokio hatte er es nicht ganz so leicht.

Ein japanischer Journalist wollte wissen: "Halten sie den Abwurf der Atombombe ueber Hiroshima fuer gerechtfertigt?" Wortreich begann Weizsaecker ueber das Uebel der Atomwaffen zu reden - ohne auf die praezise Frage einzugehen.Auf der Diskussionsveranstaltung in Nagoya berichtete er von seinen Eindruecken in Hiroshima: "Es gibt auf der ganzen Welt keinen Platz, der besser deutlich macht, wie unmenschlich diese Waffe ist." Er bewundere die Lebenskraft der Menschen, die ihre Stadt so schnell wieder aufgebaut haetten. Weizsaecker lobte den Buergermeister von Hiroshima, der "die Untaten anderer Nationen nicht zur Entschuldigung fuer eigene Untaten" anfuehre.Weizsaecker sagte, der deutlichste Unterschied zwischen Deutschland und Japan sei in seinen Augen: In Japan werde "offener gestritten". Eine "streitbare Demokratie" sei ihm lieber als "eine passive Demokratie". Versoehnend fuegte er an: "Deutschland und Japan haben aus dem Krieg gelernt." Der "demokratische Impuls" des deutschen und des japanischen Volkes sei, "dass wir keine militaerisch bestimmten Maechte mehr sein wollen."

15.08.1995 / Tina Stadlmayer

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