Bonn Apart Lunger-Journalismus

08.12.1990

Über das abwartende Rumhängen vor Sitzungssälen


Von Tina Stadlmayer

Schreib' das mal auf, sagte meine Kollegin, als ich mal wieder völlig entnervt vom Lungern zurückkam. Das Ganze hat irgendwie etwas Entwürdigendes. Wie die Löwen im Zoo lauern die JournalistInnen auf mögliche InformantInnen und stürzen sich gierig auf abfallende Wortbrocken.

Wahlabend in der SPD-Baracke: Kameras haben den Vorraum auf mindestens 50 Grad aufgeheizt. Es ist gerammelt voll, keine Chance, einen Schritt vor oder zurück zu gelangen. Meine Position ist günstig. Ich habe die Treppe im Blick. Da muß er runterkommen. Warten auf Oskar. Die Jusos hinter mir erzählen sich seit Stunden Manta-Fahrer-Witze. Einige KollegInnen durften rein, Lafontaines Reaktionen auf die einzelnen Wahlergebnisse hautnah miterleben. Ich erlebe, schweißgebadet, nach zwei Stunden Warterei nur einen Kandidaten, der ein vorformuliertes Statement runterrasselt.

Montag nachmittag: Chaos im Ollenhauerhaus, der SPD-Zentrale. Lafontaine wurde der Parteivorsitz angetragen. Er bat um Bedenkzeit. Hohe Zeit für wilde Gerüchte und Spekulationen. "Er machts, total sicher", verrät einer seiner Referenten. "Niemals, er hat schon vor Wochen gesagt, daß er's nicht macht", weiß ein Kollege. Abends um acht ist es raus: Er macht es nicht. Für die KollegInnen von den Agenturen, vom Radio und den örtlichen Zeitungen bedeutet das: Rumlungern im Ollenhauerhaus bis Mitternacht.

Am nächsten Morgen: Wieder Rumlungern im Ollenhauerhaus. Dann: Rumlungern vor dem SPD- Fraktionssaal. Der Parteirat tagt. "Er kommt." Rumms, stürzen sich mindestens zehn Kameraleute mit ihren schweren Monstern und doppelt soviele KollegInnen mit Schreibblöcken und Mikrofonen auf Lafontaine. "Ich sage Ihnen nichts", sagt er. Wer ist der Blonde da drüben, auf den der Schwarm jetzt losgeht? Aha, Dieter Spöri, Oppositionschef in Stuttgart. Erzählt er was? Mitten in seiner Frage an den Schwaben reißt ein Rundfunkkollege sein Mikro in die andere Richtung. Dort taucht Björn Engholm auf, der JournalistInnenpulk schiebt sich zu ihm hin. "Werden sie Parteivorsitzender?" tönt es mindestens zehnfach. Engholm antwortet sibyllinisch. Johannes Rau schiebt sich vorbei. "Weißt Du keine passendes Zitat aus dem Buch Salomon?" witzelt Engholm. "Es gibt Zeiten zum Lachen, und es gibt Zeiten zum Weinen", rezitiert Rau. Der Satz wird tagelang durch Rundfunkbeiträge und Zeitungsfeatures geistern.

Mittwoch nachmittag: Fraktionssitzung. Einige KollegInnen schmuggeln sich in den Fraktionssaal, sperren die Ohren auf und warten bis sie entdeckt und rauskomplimentiert werden. JournalistInnen gratulieren Abgeordeten zum hervorragenden Ergebnis im Wahlkreis: "Mensch, Herta, hast drei Prozent zugelegt. Super." Das nächste Interview ist schon gebongt. Vor dem Fraktionssaal fabriziert der bekannte Autor einer bekannten Zeitung abenteuerliche Theorien: Brandt und Vogel haben sich verschworen, Lafontaine fertigzumachen... Am nächsten Morgen lesen wir davon keine Zeile in seinem Blatt. Dafür gibt es ein wunderbares Zitat von Herta Däubler- Gmelin. "Es gibt Zeiten zum Reden und Zeiten zum Schweigen." Wo sie das nur her hat?

8.12.1990 taz 99 Zeilen, tina stadlmayer S. 6

08.12.1990 / Tina Stadlmayer

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