Der Kanzler im Glück

18.07.1990

Den Coup seines Lebens hat der internationalen Presse zufolge der deutsche Bundeskanzler gelandet


Von Tina Stadlmayer

Bonn erlebt einen vor Selbstbewußtsein strotzenden Kohl Das hatte es noch nie gegeben. Der Vorsitzende der Bundespressekonferenz in Bonn wünschte dem Kanzler erstmal "herzlichen Glückwunsch zu dem Erfolg Ihrer Reise". Die sonst meist auf Distanz bedachten Journalisten klopften mit ihren Stiften beifällig auf die Tische. Der Kanzler freute sich und begann zu sprechen. Er hielt alle Regeln der Dramaturgie ein, berichtete zunächst vom Europäischen Rat, vom Nato- und dem Weltwirtschaftsgipfel und erst zuletzt von "meinem Treffen mit dem Sowjetischen Präsidenten Gorbatschow". Er habe jetzt die Zuversicht, "daß wir in diesem Jahr eine neue Seite der deutschen und der europäischen Geschichte aufschlagen können", resümierte er die Begegnungen.

All seine Gespräche hätten nun zum Durchbruch "bei den äußeren Aspekten der Einheit" geführt. Präsident Gorbatschow habe ihm gesagt, "er akzeptiert und anerkennt", daß das "wiedervereinte Deutschland Teil der Nordatlantischen Gemeinschaft und Teil der europäischen Einigung ist". Im Klartext: Die sowjetische Regierung ist mit der Nato -Mitgliedschaft des Vereinten Deutschland einverstanden. Zu verdanken sei dies, so Kohl, den "klaren Signalen" des Nato -Gipfels, die auch in Moskau verstanden worden seien.

"So bald wie möglich" nach der Vereinigung der beiden Deutschlands wollen Kohl und Gorbatschow einen Kooperationsvertrag unterschreiben. Der Abzug der sowjetischen Truppen aus dem Gebiet der jetzigen DDR soll in drei bis vier Jahren beendet sein. Während dieser Zeit bleiben auch die Truppen der Westmächte noch in Berlin. Die Vier-Mächte-Rechte enden jedoch mit der Vereinigung. Deutschland erhält seine volle Souveränität.

Er freue sich sehr darüber, daß der sowjetische Präsident in seinem Land nun ganz schnell die Marktwirtschaft einführen wolle, verkündete Kohl. Jede Art von Wirtschafthilfe sei an die Bedingung geknüpft, "daß nun die Sowjetunion einen klaren Kurs deutlich macht vor der Weltöffentlichkeit". Gorbatschow habe bei jeder Gelegenheit darauf hingewiesen, "daß er das auch so sieht." Er wisse wohl auch, so Kohl über seinen Gesprächspartner, "daß der Weg der Sowjetunion auch politisch ein pluralistischer sein muß".

Alleine könne Deutschland allerdings auch dann kein "Gesamtpaket von Hilfen" schnüren, wenn alle diese Bedingungen erfüllt seien. Damit, so Kohl, "würden wir uns völlig übernehmen". Außerdem habe man auch den Polen und Ungarn viel zu verdanken und sei ihnen zu Hilfe verpflichtet.

Für "abwegig und unsinnig" hält Kohl den Vergleich der deutsch-sowjetischen Vereinbarungen mit dem Vertrag von Rapallo. Damals hätten sich zwei aus der Völkergemeinschaft ausgeschlossene Länder zusammengetan. Heute befinde sich das vereinte Deutschland dagegen "in einem friedlichen Miteinander mit allen Nachbarn". Kohl zeigte jedoch Verständnis für die Sorgen der Briten, die "im Kampf gegen Hitler wirklich viel aufs Spiel gesetzt" hätten. Den Vergleich des Londoner Ministers Ridley mit Hitler -Deutschland findet er allerdings "ziemlich dümmlich". Kohl war sich gestern seiner selbst so sicher, daß er in diesem Zusammenhang an seine eigene Blamage, den Vergleich Gorbatschows mit Goebbels, erinnerte. Das könne schon mal vorkommen, daß man Stuß rede, er wolle sich selber da nicht ausnehmen.

Für die Zusagen der Sowjetunion zur Wiedererlangung der vollen Souveränität Deutschlands gibt es nach den Worten von Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) "keine Rechnung, die präsentiert wird". Waigel, der Bundeskanzler Helmut Kohl bei den Gesprächen mit dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow begleitet hatte, berichtete am Dienstag unmittelbar nach der Rückkehr in München, daß die Sowjetunion noch für diese Woche neue Beschlüsse in Richtung Marktwirtschaft angekündigt habe. Auch habe er die Zusage, daß bereits in den nächsten Wochen ein Investitionsschutzabkommen abgeschlossen werde.

Die Bundesrepublik habe der Sowjetunion vor allem technische Hilfe zugesagt. In dem angekündigten umfassenden zweiseitigen Vertrag sollen unter anderem die Folgen geregelt werden, die sich durch die Neuordnung des Währungssystems in der DDR für die Sowjetunion ergeben. Dabei gehe es auch um die in der DDR lebenden Sowjetbürger und die Folgen aus der Neubewertung des Rubels. Von sowjetischer Seite sei die Lieferung von drei Milliarden Kubikmetern mehr Erdgas in Aussicht gestellt. Bei Ausweitung der Kapazitäten könne die Erdgaslieferung innerhalb von drei Jahren sogar um elf Mrd. Kubikmeter gesteigert werden.

Als sehr wichtig bezeichnete es Waigel, die Sowjetunion an die internationalen Institutionen heranzuführen. Moskau sei sehr interessiert an einer gesamteuropäischen Energiepolitik. Wichtig seien auch Hilfen für die Umstellung in der Rüstungsindustrie. Größtes Interesse habe Moskau an einer Verkürzung der Cocom-Liste, wobei sich auf diesem Gebiet der Einschränkung industrieller Kontakte schon einiges bewegt habe. Gorbatschow wisse, daß der Reformprozeß in seinem Land nur in Zusammenarbeit mit den Industrieländern und unter Beteiligung westlichen Kapitals weitergeführt werden könne.

18.07.1990 / Tina Stadlmayer

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