Ich kenne Lothringen, aber wo ist Thüringen?

26.09.1990

Der Kanzlerkandidat Lafontaine und seine Schwierigkeiten mit der DDR


Von Tina Stadlmayer

Bonn (taz) - Präsident Gorbatschow steht in der Mitte des Raumes und wartet. Im Laufschritt stürmt SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine ins Zimmer. Händeschütteln, Lächeln, Austauschen höflicher Belanglosigkeiten. Die Fotografen schießen das Bild, welches tags darauf auf den ersten Seiten vieler Zeitungen prangt: der saarländische Ministerpräsident beim höchsten Mann der Sowjetunion. It's Wahlkampf- Time, und der Kandidat muß nicht nur durch die DDR touren, sondern auch die beiden mächtigsten Männer der Welt besuchen. Seine Berater erzählen, daß man ihn zu den Reisen regelrecht drängen muß. Besonderen Spaß scheint ihm der Wahlkampf nicht zu machen.

Kein Wunder. Schließlich wissen seine Gesprächspartner in Washington und Mokau, daß sie einen Kandidaten ohne Chancen vor sich haben. Oskar Lafontaines Kalkül ist nicht aufgegangen. Er hatte darauf gesetzt, die WählerInnen würden die Misere in der DDR den wirtschaftspolitischen Fehlentscheidungen der Bundesregierung anlasten. Aber nicht einmal Michail Gorbatschow wollte seiner Argumentation folgen. Die verfrühte Währungsunion führe zum Zusammenbruch der Absatzmärkte, dozierte der Kandidat. Gorbatschow guckte verständnislos. SPD-Außenpolitiker Horst Ehmke versuchte Lafontaine beizuspringen: "Wenn Sie ihr Öl gegen Dollars verkaufen, werden Sie es auch nicht mehr los", verklickerte er dem Präsidenten. Der wollte jedoch von einer Kritik an der Wirtschaftspolitik Helmut Kohls nichts wissen. Auch den Hinweis Lafontaines, die Einheit werde zehnmal so teuer als von Kohl prophezeit, wischte er vom Tisch. Zum Ende des Gesprächs richtete er zu allem Überfluß auch noch schöne Grüße an den Bundeskanzler aus. Gorbatschow: "Wir sitzen doch alle in einem Boot."

Mit Kohl will Lafontaine schon gar nicht in einem Boot sitzen. Nach dem Motto "Du hast keine Chance, aber nutze sie", versucht er verzweifelt den schwarzen Riesen klein zu reden: "Der erste Staatsvertrag und die Währungsunion haben sich als Fehler erwiesen." Hätte die Bundesregierung statt dessen feste Wechselkurse beschlossen, so der Kandidat, dann wären die Absatzmärkte nicht zusammengebrochen und viele DDR-Firmen nicht pleite gegangen. Mag sein, daß er recht hat, aber: "Hätte...", "wären...", das interessiert heute leider niemanden mehr. Außerdem gelingt es ihm nicht so recht, den WählerInnen klarzumachen, wie seine Alternative aussieht. Steuererhöhungen, Beschäftigungsgesellschaften und Öko-Abgaben sind vielleicht vernünftige, aber auch schwer zu vermittelnde Vorschläge.

Sein Hauptmanko bei den Ost- WählerInnen: zu offensichtlich ist die DDR für ihn ein fremdes Land. Im kleinen Kreis gibt Lafontaine zu: "Von Lothringen habe ich mehr Ahnung als von Thüringen." Dann erzählt er von seiner Liebesgeschichte mit der DDR-Sängerin Bettina Wegener, da habe er die Unmenschlichkeit des Honecker-Staates zu spüren bekommen. Von den DDR-EinwohnerInnen redet er recht herablassend, macht sich über den Run auf materielle Güter und das gedankenlose Streben nach dem "Einig Vaterland" lustig. Bei den DDR-Leuten hat er seinen Stempel als Einheits-Feind weg. Sie nehmen ihm nicht ab, daß seine "Gleichheit der Lebensverhältnisse" auch ohne schnelle Vereinigung zu machen ist.

Oskar im Seidenhemd, Oskar mit seiner unangepaßten Freundin, Oskar, der statt in die DDR zur Fete von Peter Maffay nach Mallorca fährt. Verzweifelt versucht der SPD-Kandidat für Brandenburg, Konsistorialpräsident Manfred Stolpe, seinem Parteifreund klarzumachen, daß er so bei den DDRlern nicht ankommt. Aber Lafontaine hat keine Lust, in der DDR den Biedermann zu spielen. Trotzig sagt er, entweder die wählen mich, so wie ich bin, oder ich mache mir noch zwei ruhige Jahre, bis ich Kanzler werde.

Auch bei seinen Parteifreunden im Westen stößt diese Haltung auf Unmut. Stinkesauer reagierten sie, als er nach dem Attentat Anfang des Jahres wochenlang darüber schwieg, ob er denn nun noch als Kanzlerkandidat zur Verfügung stehe. Dann gab's Streit um den Parteivorsitz, den Lafontaine am liebsten Hans-Jochen Vogel abgeluchst hätte. Jüngster Knatsch: Der Saarländer erdreistete sich, die Worte des Ehrenvorsitzenden Willy Brandt als "Furz" zu bezeichnen. Brandt hatte in der 'Zeit' davor gewarnt, sich "ohne Not zu Trägern von Unheilsbotschaften zu machen" und "Steuererhöhungen in Aussicht zu stellen".

Parteistrategen bemühen sich auf dem Vereinigungsparteitag von SPD-Ost und -West in dieser Woche keinen Streit aufkommen zu lassen. Sie werden damit wohl Erfolg haben. Eine Diskussion über das Für und Wider von Steuererhöhungen ist nicht vorgesehen. In das Regierungsprogramm "Fortschritt 90" wird die "Ergänzungsabgabe für Höherverdienende" aufgenommen werden. Im Entwurf dazu bleibt aber offen, ab welchem Einkommen die WählerInnen zur Kasse müssen,

Auch auf dem Parteitag der Ost- SPDler am Mittwoch morgen wird wohl keiner den Kandidaten für seine - in ihren Augen - herablassende Haltung gegenüber den DDR-Bürgern rüffeln. Oskar Lafontaine selbst will dagegen seine Parteifreunde noch einmal dafür tadeln, daß sie ihn mit seiner Kritik am ersten Staatsvertrag und der verfrühten Währungsunion so alleine ließen. Er wird seine Vorwürfe an die Parteifreunde jedoch verbindlich formulieren. Sein Argument: "Die desaströse Entwicklung in der DDR zeigt, daß ich recht hatte." Dies sagt er auf jeder Wahlkampfrede, er erzählte es Gorbatschow und Bush. Und auf dem Parteitag werden wir es wieder von ihm hören.

26.9.1990 taz 164 Zeilen, tina stadlmayer S. 7

26.09.1990 / Tina Stadlmayer

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