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Wo Braunschweigs erste Bücher standen

Die Liberei zu Braunschweig und der Büchersammler Gerwin von Hameln
Von Tina Stadlmayer
Merlin-Verlag, Vastorf (8. Mai 2011)
Broschiert: 56 Seiten, 9,80 €
ISBN-10: 3875362853
ISBN-13: 978-3875362855

Die erste freistehende Bibliothek Nordeuropas wurde für die Handschriften der St.-Andreas-Kirche in der Braunschweiger Neustadt erbaut. Sie stellte ihre Bestände schon 1422 nicht nur der Geistlichkeit zur Verfügung. Gerwin von Hameln, Stadtschreiber in Braunschweig und leidenschaftlicher Büchersammler stellte seine Sammlung dazu und vermachte sie der Liberei. Bis zu seinem Tod 1496 vergrößerte er die Bibliothek auf 336 Bände. In seinem Testament legte Gerwin von Hameln ausdrücklich fest, dass die Bücher allen lesekundigen Bürgern zugänglich sein soll ten. Er begründete damit eine der ersten öffentlichen Bibliotheken des Landes.


Ein fleißiger Ratsbediensteter mit einem teuren Hobby

Pflichtbewusst, fleißig und akribisch muss Gerwin gewesen sein. Seine Schrift war akkurat, und im Gegensatz zu den anderen Stadtschreibern machte er nur selten Fehler. In seiner fast 50-jährigen Amtszeit hat er mehrere Tausend Einträge in den städtischen Bü - chern vorgenommen. Testamente aufnehmen, Urkun den registrieren, Urteile niederschreiben war die tägliche Ar beit des Stadt schrei - bers. Seine Begeisterung aber galt dem Sammeln von Handschriften und Büchern, neuen und solchen aus früherer Zeit. Er hatte den Ehrgeiz, eine Bibliothek mit den wichtigsten Werken der da - maligen Zeit zusammenzutragen. Das war eine teu re Liebhaberei, denn Handschriften und Drucke hatten ihren Preis. Wenn er genügend Schriften zusammen hatte, ließ er sie bin den – auch das war nicht billig. Als kaiserlicher Notar und Stadtschreiber gehörte Gerwin zur Verwaltungselite der Stadt. Er stellte Urkunden aus, die öffentliche Rechtsgeltung hatten, und signierte sie mit seinem Zeichen. Rechtsgeschäfte wie Hauskäufe bedurften damals – wie heute – einer notariellen Beglaubigung. Gerwins Signet ist auch in drei Bänden seiner Bücher als Besitzerzeichen überliefert. Es hat ornamentalen Charakter: Aus einem Zweig wächst eine neunblättrige Rispe, auf deren Blättern der Buchstabe n steht, der auf seine Funk tion als Notarius verweist. Ornamentale Notariats zei chen waren im Spätmittelalter selten. Gerwins Notarskollegen ver wen de - ten meist redende Signets, die auf ihren Namen anspielten, ähnlich dem Eimer in Pfarrer Embers Wappen. Wie die meisten öffentlichen Notare seiner Zeit gehörte Gerwin auch zum niederen Klerus. Im April 1445 erhielt er vom Alt stadtrat ein lukratives Lehen: Er wurde erster Priester der Heilig-Geist-Kapelle vor dem Hohen Tor im Westen der Stadt. Es war damals üblich, dass Ratsbedienstete wie Notare und Stadtschrei ber Lehen Das Wappen der Familie von Hameln. vom Rat bekamen, um so ihren eher kärglichen Lohn aufzubessern. Unklar ist, ob Gerwin als erster Priester der Heilig-Geist-Kapelle auch seelsorgerisch tätig war. Wahrscheinlich ließ er die Aufgaben des ersten Priesters, wie das Lesen der Messe und das Erteilen von Sakramenten, von einem bezahlten Stell ver tre ter erledigen. Obwohl Gerwin dem niederen Klerus angehörte, war er verheiratet und hatte zwei Söhne. Im Mittelalter war das durchaus üblich – Zölibat hin oder her. Das Konzil von Basel (1431-1449) machte dem freizügigen Leben des niederen Klerus jedoch ein Ende. Per Dekret wurde 1435 angeordnet, dass sich alle verheirateten Kleriker von ihren Frauen zu trennen hatten. Wer sich weigerte, sollte sein Lehen verlieren. Gerwin kannte den Beschluss, denn er be saß eine Abschrift des Texts. Offenbar ist er der Auf forderung des Konzils gefolgt, da er weder seine Frau noch seine Söhne Gerwin und Frederick in seinem Testament bedachte. Aus einer Urkunde geht je - doch hervor, dass Gerwin zu Lebzeiten Ren tenverträge für seine Söhne abgeschlossen hatte. So erhielten sie nach seinem Tod bescheidene Leibrenten. Neben seinen Tätigkeiten als Notar und Kleriker arbeitete Gerwin fünfzig Jahre lang als Stadtschreiber. In der Hierarchie der neun Stadtschreiber stand er an zweiter Stelle gleich hinter dem Syndikus. Er war also der zweithöchste Beamte in der Stadtverwaltung. Seinen Amtsantritt im Jahr 1438 vermerkte er von eigener Hand im städtischen Gedenkbuch. Zu Beginn seiner Karriere führte Gerwin kleinere Schreibarbeiten in den Gedenk- und Rentenbüchern aus. Dabei ging er sehr sorgfältig vor und vervollständigte sogar alte Einträge aus dem vorangegangenen Jahrhundert. Später führte er die Ren tenbücher der Finanzverwaltung. Ähnlich wie heute beschaffte sich der Staat auch im Mittelalter benötigtes Geld auf dem Kapitalmarkt. Die gängigste Methode waren die sogenannten Ren tenkäufe. Die Bürger gaben der Stadt einen Kredit und erhielten als Gegenleistung eine feste Verzinsung – die jährliche Rente. Gerwin katalogisierte fast alle Urkunden, auch solche, die vor seiner Amtszeit ausgestellt worden waren, legte Steuerregister an, unterstützte die Kämmerei bei der Buchführung und organisierte das gesamte Schriftwesen. Fast alle Urkunden aus dem Zeit raum zwischen 1432 und 1489 enthalten einen Registratur-Vermerk von Gerwins Hand. Ab 1435 führte er auch das Gedinge buch der Neustadt. Da rin wurden alle Verträge und Verhand lungen, die den Stadtteil und seine Bewohner betrafen, aufgezeichnet. Außer dem schrieb er das Gedenk- und das Testamentbuch der Neu stadt. Seine Einträge ins Kirchenbuch der Neustädter Pfarrkirche St. Andreas zeigen seine enge Verbindung zu dieser Kirche. Gerwins Name taucht in den Hauptrechnungen der Stadt unter der Rubrik „scriverlon“ (Schreiberlohn) auf. Sein Gehalt war bescheiden: Von der Neustadt bekam er vier Mark im Jahr – ein Pferd kostete damals etwa drei Mark. Eine spürbare Aufbesserung bekam er 1442 vom Gemeinen Rat „umme synes flitigen denstes willen“ (für seine fleißigen Dienste).

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