Der Quote eine Gasse

18.07.1988

SPIEGEL-Redakteurin Tina Stadlmayer über den Geschlechterkampf in der SPD *


Nur zu gut ist Schleswig-Holsteins SPD-Bildungsministerin nachzufühlen, daß sie schon lange keine Lust mehr hat, Genossen und Journalisten zu erklären, was eine Quotenregelung für die Partei und ihre Anhänger/innen bedeutet. Jetzt sagt Eva Rühmkorf nur noch: "Es muß einfach sein."

Recht hat sie. Ohne Quotierung geht gar nichts und wird sich nie etwas ändern. Der SPD-Parteitag in Münster Ende August wird - hoffentlich - beschließen: 40 Prozent aller Ämter und Mandate für die Frauen; und wenn es klappt, gibt''s ein weiteres Votum für eine Frau an der Parteispitze, neben den Vorzeigemännern Rau und Lafontaine. Die Quote ist kein maßloses Ansinnen, sondern der einzige Weg zur Gleichberechtigung nicht nur bei den politischen Akteuren. Schöne Worte und frauenfreundliche Versprechen haben bisher ja wirklich nichts gebracht.

Man hört schon das Geschrei: 40 Prozent aller Ämter und Mandate der SPD werden schon bald von Frauen besetzt? Egal, wie dumm, unfähig und hysterisch die Weiber auch sein mögen?

Vorsicht, Männer, so leicht könnt ihr es euch nicht (mehr) machen. Schließlich sind ja wenigstens 40 Prozent aller Ämter und Mandate von Männern besetzt, die von - nicht nur hysterischen - Weibern als dumm, unfähig, bequem oder korrupt bezeichnet werden könnten.

Na also. Eine Intelligenz-, Leistungs- oder Moralquote haben selbst solche Genossen wie Friedhelm Farthmann oder Willfried Penner, die vehement gegen die Frauenquote streiten, noch nicht vorgeschlagen. Konsequent wär''s allemal.

Und wenn ein weiterer Bedenkenträger, der sonst unbekannte SPD-Abgeordnete Hermann Bachmeier, vor kurzem im "Vorwärts" schrieb, wegen der "gereizten Tonlage" in der Diskussion um die Quote könne man(n) nur noch mit einer "gehörigen Portion Zivilcourage" Bedenken gegen das zu erwartende Parteitagsvotum vorbringen - na und? Trauen sich die Genossen nicht? Seit wann sind die Herren so leicht einzuschüchtern? Oder dient die vorgebliche Verschrecktheit nur dem Sichern der eigenen Machtansprüche?

Klar, nicht allen Männern ist der Besitzstand lieb und teuer. Der Stand der Dinge: Hand in Hand mit manchen Genossen wollen (die meisten) Genossinnen auf dem Parteitag die SPD verpflichten, daß in spätestens sechs Jahren, so der Vorschlag des Parteivorstandes, 40 Prozent der Parteiämter von Frauen besetzt sind. Vier Jahre später sollen auf die SPD-Frauen auch 40 Prozent der Mandate entfallen. Das ist 1998, 14 Jahre nach Orwell.

Mit der Quote wollen sich die Parteifrauen holen, was ihnen in 125 Jahren SPD-Geschichte vorenthalten wurde: die innerparteiliche Gleichberechtigung auf Kosten des männlichen Ämterfilzes. Lange schon haben die Sozialdemokratinnen die Vorherrschaft ihrer Vor- und Amtmänner satt. So ist der Frauenanteil bei den Parlamentsabgeordneten in den vergangenen 68 Jahren nur um sieben auf 15 Prozent gestiegen. Ginge die Entwicklung so rasant weiter, könnte sich der Bundestag immerhin in 340 Jahren rühmen, die Gleichberechtigung in eigenen Reihen verwirklicht zu haben.

Bis zum Jahr 2328 wollen die SPD-Frauen nun keinesfalls warten. Selbst Partei-Urgroßvater August Bebel hat ja schon "die Gleichberechtigung der Frauen in der Parteiorganisation" gefordert, das war im Jahre 1869. Seitdem hat sich nicht viel geändert. Die Partei konnte im vorigen Jahr nur 33 Prozent weibliche Mitglieder neu aufnehmen. Die SPD ist nach wie vor ein Macker-Verein (daß CDU/CSU und FDP noch schlechter dastehen, müßte die stören, hilft ihr aber nicht). Fast alle wichtigen hauptamtlichen Parteiposten sind von Männern besetzt. Nur zwei von 22 Bezirksvorsitzenden sind weiblich, _(Bei einer Pressekonferenz in Bonn zur ) _(geplanten Quotenregelung; vordere Reihe: ) _(Susi Möbbeck, Brunhilde Peter, Inge ) _(Wettig-Danielmeier, Katharina Focke, ) _(Ingrid Matthäus-Maier. Stehend: Gisela ) _(Böhrk, Eva Rühmkorf, Anke Brunn, ) _(Heidemarie Wieczorek-Zeul, Herta ) _(Däubler-Gmelin, Heide Pfarr, Anke Fuchs, ) _(Renate Schmidt, Anke Martiny, Karin ) _(Hempel-Soos. )

erst seit einem Monat gibt es eine Landesvorsitzende (in Hamburg).

Als die SPD-Oberen bei der vergangenen Bundestagswahl dazu aufriefen, ein Viertel aller Mandate mit Frauen zu besetzen, war die Ausbeute mager: 15 Prozent Sozialdemokratinnen, nur gut das Doppelte wie 1928. So leicht rücken die Jungs ihre Pöstchen nicht heraus. Da hilft nur eines: die harte Quote.

Der Aufschrei in der Männerwelt, frau mag ihn nicht mehr hören: Quoten seien undemokratisch, "denn Qualitätsmerkmale wie Alter, politischer Werdegang und Beruf treten in den Hintergrund" (Bachmeier). Oder: "Vor allem für junge Männer wird die Partei unattraktiv" (Farthmann).

Da kommen uns, typisch, die Tränen. Diskriminierung wegen ihres Geschlechts erleben ja Frauen seit Hunderten von Jahren, in der Gesellschaft und in den Parteien. Da sollen Männer nicht auch mal ein paar Nachteile in Kauf nehmen, damit wir der Gleichberechtigung ein wenig näher kommen?

Gegen jede Reform auf dem Weg zur Gleichberechtigung wurde zunächst mit rechtlichen Argumenten oder dem, was Männer dafür hielten, gestritten. So war das 1908, als die Frauen das Versammlungsrecht zugestanden bekamen, so war es 1918 beim Frauenwahlrecht und 1949, als der Gleichberechtigungsgrundsatz in die Verfassung aufgenommen wurde.

Der Vorwurf gegen die Quotierung, Männer würden entgegen dem Diskriminierungsverbot im Grundgesetz benachteiligt, nimmt sich besonders delikat aus. Schließlich kämpften die Mütter der Verfassung, Väter waren auch dabei, für diesen Artikel, um die Benachteiligung der Frauen zu beseitigen. Frauenförderpläne und Quoten, die dieses Verfassungsziel näher bringen, sind - da sind sich fast alle Juristen einig - nicht verfassungswidrig, selbst wenn dadurch einzelnen männlichen Kandidaten Nachteile entstehen sollten. Manche Staatsrechtler, etwa Klaus Lange und Hans-Peter Schneider, fordern die Parteien sogar auf, Quotenregelungen zu schaffen.

Auch das Argument, die Wahlfreiheit werde mit der Quote eingeschränkt, zieht nicht. Tatsächlich stehen sich bei der Quotierung zwei Verfassungsprinzipien gegenüber: das der passiven Wahlgleichheit (jede/r muß die gleichen Chancen haben, gewählt zu werden) und das der Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern. Der Jurist Ingwer Ebsen kam in einem Gutachten für die SPD zu dem Schluß, die Quotierung sei, begrenzt auf etwa 15 Jahre, als "Anstoßmaßnahme" zulässig, um Gleichberechtigung zu erreichen.

Entfallen rechtliche Argumente, bleiben politische übrig. Liegt den Genossen überhaupt am frischen Wind? Wollen sie eine Modernisierung, die mit den vielen Frauen in Ämtern und Mandaten ja automatisch käme? Natürlich wird die SPD eine andere Partei, wenn erst mal 40 Prozent der Funktionen von Frauen besetzt sind. Nicht weil Frauen bessere Politiker wären, sondern weil sie andere Erfahrungen mitbringen - aus der Frauen- und Friedensbewegung, vom Umweltschutz zu Hause, aus der Vorsorge für den Alltag und den Haushalt.

Da wird klar, daß es die Quote allein nicht ist, aus der der SPD eine neue Mehrheitsfähigkeit erwächst. Die Partei müßte sich neuen Ideen öffnen, über Frauenarbeit und Frauenanteil in der Politik nicht nur Sonntagsreden halten, sondern konkrete Beschlüsse fassen. Der Irseer Entwurf für ein neues Grundsatzprogramm ist davon noch meilenweit entfernt. Müssen Genossen sich ihre Alte-Herren-Partei um die Quote bereichert vorstellen, fällt garantiert am Stammtisch der Hinweis, es gebe ja gar nicht genug qualifizierte Frauen, um 40 Prozent aller Ämter und Mandate zu besetzen. Das ist schlicht falsch. Allein schon mit den für den Bundestag 1987 kandidierenden Sozialdemokratinnen wäre die Quote erreicht worden, hätten sie bessere Listenplätze gekriegt.

Und bitte, was versteht man(n) unter Qualifikation? Reichen jahrelange Parteierfahrungen, Gewerkschaftspraxis, Ämterhäufung und gesetztes Alter aus? Oder braucht die SPD neue Ideen, praktische Erfahrungen, andere Denkweisen?

In vielen Ortsvereinen werden sich die Männer überlegen müssen, woran es liegt, daß bei ihnen kaum Frauen mitmachen - etwa am Diskussionsstil, an der Vereinsmeierei, der Langeweile oder der Arroganz der Herren. Männer finden sich nun mal in erster Linie selber wichtig, reden häufig nicht, um etwas zu sagen, sondern um sich darzustellen, und weigern sich, einer Frau zuzuhören. In einer Umfrage des Unterbezirks Main-Taunus ("Warum verzichten Frauen auf Ämter und Mandate?") antworteten im Juni 57 Prozent, sie kämen neben Hausarbeit, Familie und Beruf nicht dazu. Die Männer aber offenbar sehr wohl. Kümmern sich die Genossen nicht um Hausarbeit und Familie?

Bleibt das letzte Argument der Quotenkritiker: Die Grünen stellten mit ihrem Frauenanteil unter Beweis, daß das allein keine Garantie ist für frauenfreundliche Politik und menschlichere Umgangsformen. Richtig - dies Argument ist das letzte.

Denn es beweist, so zerstritten die Grünen und auch ihre Funktionsträgerinnen untereinander sind: Quotenfrauen mögen nicht besser sein als ihre Kollegen - sie sind allemal nicht schlechter.

Erst wenn mittelmäßige Frauen so selbstverständlich wie mittelmäßige Männer Ämter und Funktionen in den Parteien besetzen, könnte die Gleichberechtigung in Sicht sein. Bei einer Pressekonferenz in Bonn zur geplanten Quotenregelung; vordere Reihe: Susi Möbbeck, Brunhilde Peter, Inge Wettig-Danielmeier, Katharina Focke, Ingrid Matthäus-Maier. Stehend: Gisela Böhrk, Eva Rühmkorf, Anke Brunn, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Herta Däubler-Gmelin, Heide Pfarr, Anke Fuchs, Renate Schmidt, Anke Martiny, Karin Hempel-Soos.

18.07.1988 / Tina Stadlmayer