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Für neue Mittelschichten attraktiv machen

15.05.2006

Der grüne Realpolitiker Joschka Fischer über den Kurs seiner Partei nach der Abwahl des Vorstands


SPIEGEL: Herr Fischer, Sie haben eine Wende grüner Politik verkündet. Hat der Rücktritt des fundamentalistischen Bundesvorstandes - wie Jutta Ditfurth vomussagt - den Weg frei gemacht für die "fünfte Mief-Partei"?

FISCHER: Meine Güte! Ich habe kein Verkündigungsamt. Der Parteitag hat einen dringend notwendigen Neuanfang ermöglicht. Und zur "Mief-Partei" kann ich Ihnen nur sagen: Jetzt ist innerparteilich Zugluft angesagt. Aber mir ist diese Ebene der Auseinandersetzung langsam zuwider. Da wird die Partei wüst beschimpft, wenn jemand in einer Auseinandersetzung was auf die Nase bekommt. Wir Realos haben doch so oft verloren, ohne in Weinerlichkeit oder Beschimpfungsrituale zu verfallen.

SPIEGEL: Sie haben selber schon eine Art Wendepapier mit dem TItel .. Sein oder Nicht Sein" geschrieben. Ist Joschka Fischer der Lambsdorff der Grünen?

FISCHER: Jetzt wird es immer doller. Juttchen bezeichnete uns auch bereits als Möllemänner. - Nein! Wir haben damals gewollt ein konfrontatives Papier geschrieben. Aber ich glaube, auch die Realos werden jetzt mit einem Neu- in seiner Fmnkfurter Wohnung. anfang Ernst machen müssen. Otto Schily hat dies für uns in Karlsruhe erklärt.

SPIEGEL: Gilt nicht mehr, was Sie früher sagten: Die Grünen mUßten sich zu einer "besseren FDP" mausern und den neuen Mittelstand als Zielgruppe ansteuern?

FISCHER: Nie wieder "grüne FDP"! Aber ich meine schon, daß die Grünen in den Jahren 1982/83 einen zentralen Fehler gemacht haben. Sie haben, obwohl einige es wollten, nicht alles versucht, das linkslibernie Potential zu binden, damit einer wie Otto Schily nicht als Solitär in dieser Partei bleibt. Das hätte sicher schwierige Integmtionsprobleme geschaffen. Aber für die politische Landschaft der Republik hätte es große, fast schon strategische Bedeutung gehabt.

SPIEGEL: Und jetzt möchten Sie den Versuch nachholen? Ist das der Neuanfang? FISCHER: Nein, nein! Es gilt nicht, eine neue oder andere FDP zu machen. Insofern ist die Kritik an diesem Begriff völlig richtig. Denn der ist belastet. Es ist nur mein Ziel, die Grünen für den sozial engagierten und den ökologisch orientierten Teil der neuen Mittelschichtenattmktiv zu machen und zu öffnen. Sie entscheiden letztendlich, ob die neokonservative Zweidrittel-Gesellschaft sich durchsetzen wird oder nicht. Solche mehrheitsrelevanten Schichten der Gesellschaft sind für die Grünen besser erreichbar als für die Sozialdemokmten, das beweist jede Wahlanalyse.

SPIEGEL: Mit diesen Mittelschichten kriegen Sie nur eine andere FDP zustande.

FISCHER: Ich will es mal verkürzt sagen: Ich will die Ditfurth-Wähler. Aber ich will verstärkt auch die SchilyWähler aktiv in der Partei.

SPIEGEL: Und wie definieren Sie die Ditfurth-WllhJer?

FISCHER: Das sind die Leute des alternativen, mdikalen großstädtischen Milieus und meinetwegen auch mit dem Gefühlsmdikalismus der Zahnarztgattin oder des SPIEGEL-Redakteurs. Wir sollten uns jedenfalls nicht in traditionelle linke Ecken zurückziehen, sondern die Fähigkeit entwickeln, Unterschiedliches zusammenzubringen.

SPIEGEL: Nach dem Realo-Papier ist der "konsumfreundliche Citoyen" der neuumworbene Typ der Grünen ...

FISCHER: Wobei der bei Karl Marx eine sehr hohe Stellung hatte, der Citoyen, wenn ich an die Frühschriften denke, im Gegensatz zum Bourgeois.

SPIEGEL: Wobei die Fmge ist, ob Sie und Marx den gleichen Citoyen meinen. Sie haben ja gemerkt, daß sich vielen Ihrer linken Parteifreunde die Haare sträuben: Joschka gründet die YuppiePartei.

FISCHER: Diese Formulierung wurde auch unter uns sehr kontrovers diskutiert. Sie sollte ja auch provozieren. Wir wollen einen offenen Diskurs, wie er in der Gründungsphase möglich war, und nicht nur gebetsmühlenhaft die Beschlüsse runterbeten.

SPIEGEL: Anpassung an den rechten Zeitgeist, sagen Ihre Gegner.

FISCHER: Das regt mich jetzt emotional auf! Die sollen sich doch unsere Politik' hier in Hessen anschauen, unter fundamentalistischen Gesichtspunkten eine Politik von sogenannten Verrätern. Die sollen nicht irgendwelches dummes Zeug bmbbeln, sondern mir mal sagen, wo wir hier in Hessen eine Politik machen, die nach rechts geht, zum Beispiel in der Ausländer- und Minderheitenpolitik. Ein konkretes Beispiel.

SPIEGEL: Inzwischen haben Sie neue Reizworte genannt: Die verprellten Anhänger in den Medien und unter den Intellektuellen müsse man zurückholen - Politik rur den Konsum des Zeitungslesers?

FISCHER: Völliger Quatsch. Diese Leute sind weggeblieben, weil sie etwas , gegen Realitätsfeme und leere Rituale haben.

SPIEGEL: In dem Papier wird auch allerlei Eingemachtes aus den Regalen geräumt, zum Beispiel der Nato-Austritt. Geht es jetzt an die Revision des Parteiprogramms, das in Ihren Augen nur noch als "Revolutionsmuseum" brauchbar ist?

FISCHER: Ich halte die Forderung nach einem Nato-Austritt für kontraproduktiv für eine Politik hin zur Auflösung der beiden MiIitärblöcke. Da bin ich glUcklich dem Dogmatisml!s der katholischen Kirche entsprungen, wo ja dem Heiligen Stuhl die unveränderlichen Wahrheiten vom Heiligen Geist eingeblasen werden. Eine Partei lebt doch unverzichtbar von der Fortentwicklung ihres Programms und nicht vom Dogma.

SPIEGEL: Was ist denn, bitte, der, Unterschied zwischen, Fortentwicklung und Revision?

FISCHER: Das kann ich Ihnen genau sagen. Revision ist, wenn man die Sache grundsätzlich umkippen will. Niemand will das. Wir wollen endlich, verdammt noch mal, eine Programmdiskussion beginnen, ohne daß sofort Denkverbote aufgestellt werden.

SPIEGEL: Ob Sie das Revision oder Fortentwicklung nennen: Ihre Positionen sind mit dem Programm der Grünen nicht vereinbar. '

FISCHER: Ich glaube, daß unser Parteiprogramm die politischen Bedürfnisse und Notwendigkeiten - aber auch die Erfahrungen der Partei - nicht mehr ausreichend verkörpert.

SPIEGEL: Wie soll es praktisch weitergehen? Sollen jetzt alle Papiere einschließlich Realo-Manifest zur Urabstimmung gestellt werden?

FISCHER: Nach der gegenwärtigen Diskussion unter den Realos werden wir uns mit einer eigenen Position beteiligen. Ich persönlich meine, man sollte sich jetzt noch mal zusammensetzen. ,Das gilt für alle, die eine Urabstimmung wollen. Man kann ja nicht im Schnellgang so etwas wie eingedampfte Programmalternativen gegeneinander stellen. Die verschiedenen Strömungen sollten positiv definieren, wo sie die Fundis Mlchallk, Schmldt, Dltfurth: .Idiotisches Verhalten" ich glUcklich dem Dogmatisml!s der katholischen Kirche entsprungen, wo ja dem Heiligen Stuhl die unveränderlichen Wahrheiten vom Heiligen Geist eingeblasen werden. Eine Partei lebt doch unverzichtbar von der Fortentwicklung ihres Programms und nicht vom Dogma.

SPIEGEL: Was ist denn, bitte, der, Unterschied zwischen, Fortentwicklung und Revision?

FISCHER: Das kann ich Ihnen genau sagen. Revision ist, wenn man die Sache grundsätzlich umkippen will. Niemand will das. Wir wollen endlich, verdammt noch mal, eine Programmdiskussion beginnen, ohne daß sofort Denkverbote aufgestellt werden.

SPIEGEL: Ob Sie das Revision oder Fortentwicklung nennen: Ihre Positionen sind mit dem Programm der Grünen nicht vereinbar. ' Konsensmöglichkeiten und die dringenden Aufgaben der Partei sehen., Grundlage für uns ist das Realo-Manifest.

SPIEGEL: In Karlsruhe haben die Realos mit den' "Aufbruch" -Menschen den Vorstand gekippt ...

FISCHER: Einspruch, Euer Ehren. Das war kein von langer Hand vorbereiteter strategischer Plan. Den Sieg haben Realos und "Aufbruch"-Basis erkämpft. Ihnen gebührt der Ruhm. Die Leute hatten die Sch,nauze voll von, diesem Strömungsbunker in der Colmantstraße. Die dort residierende Parteiruhrung sah ihre Aufgabe nur nöch darin, die Belastbarkeit der eigenen Partei auszuprobieren.

SPIEGEL: Die Frage ist nur: Wie lange hält denn diese Mitte-rechtsMehrheit zusammen?

FISCHER: Ich weigere mich, das Thema nach dem Mitte-rechts-Muster abzuhandeln. Es geht um die Kernfrage: Reform- oder Protestpartei? Es ist eher also ein Existenzkontlikt, ob wir eine eigene ökologisch-radikaldemokratische Kraft in den Parlamenten wollen oder nicht. Und diese Reformmehrheit besteht aus den unterschiedlichsten Leuten und Strömungen. Die Kooperation zwischen "Aufbruch" und Realos wird dabei immer eine kontliktgeladene sein. Ich würde mich auch freuen, wenn es mit der undogmatischen Linken zur Zusammenarbeit käme, wie wir sie in der ersten Bundestagsfraktion mit einigen Hamburgern hatten.

SPIEGEL: Die sollen alle gemeinsam mit Ihnen eine bessere FDP-Politik rur die Mittelschichten betreiben?

FISCHER: Darum geht es doch nicht. Ich denke, wir wollen die Verharzung, die Abschottung der Partei von gesellschaftlichen Prozessen überwinden. Den schärfsten Dissens zu Antje Vollmer sehe ich darin, daß sie die Partei als ein Reich der Seligen mit schwachen Partei- und Führungsstrukturen will. "Bombardiert das Hauptquartier", heißt ja ihre Parole ...

SPIEGEL: Während Sie am liebsten' die Basis-Demokratie durch eine PromiClique ersetzen wollen, die dann die Geschicke der Partei lenkt - dieser Argwohn ist jedenfalls weit verbreitet.

FISCHER: Ich halte einen solchen Zustand bei den GrUnen für unmöglich. Die Trennung von Amt und Mandat ist zwar auf Dauer ohne hohen Preis nicht durchhaltbar. Die Partei wird gegenüber , den Fraktionen zum Wahlverein herabsinken. Am Ende wird genau das eintreten, was keiner will: Promi-Macht gerade wegen der institutionellen Schwäche der Partei. Aber ich sage genauso offen: leh habe mir damit bei den Realos in Hessen eine blutige Nase geholt.

SPIEGEL: Sind die alten Revoluzzer aus dem Jahr '68 überhaupt noch die richtige FührungscJique rur die Grünen?

FISCHER: Natürlich ist an dieser Kritik was dran. Wir brauchen die Öffnung zu den Jüngeren. Unsere Lebensader nach 'unten ist äußerst dünn. Bei den Studenten gibt es nur punktuelle Zugänge. Und bei der Generation darunter wird es noch wesentlich schwieriger. Hier hat der neue Bundesvorstand ein großes Defizit aufzuarbeiten.

SPIEGEL: Selbst Ihre "Aufbruch"Freunde hegen den Verdacht, daß sich die Realos allzu fix dem Zeitgeist anpassen. Sie selber reden vom "Pragmatismus, der an der Durchsetzungsfähigkeit grüner Inhalte orientiert ist".

FISCHER: Wir Realos haben unsere Positionen doch am wenigsten verändern müssen. Manche im "Aufbruch" sind da sehr viel weitere Wege gegangen. Aber selbst wenn es so wäre, wie Sie sagen: Was ist denn schlimm an einer solchen Rollenverteilung in e,iner Partei? Da würde es die durchsetzungsfähigen und pragmatischen Macher geben und andererseits solche, die mehr Sachwalter programmatischen Beharrungsvermögens sind. Ein produktiv zu organisierender Konnikt wäre das. Nichts wäre schlimm daran. SPIEGEL: Aber der Verdacht liegt nahe, daß Sie solche Rollenverteilung gar nicht wollen. Sie haben doch die Dogmenverwalter stets als Wählerschreck geschmäht und erst vergangene Woche erklärt: "Eine Abspaltung wäre zu verkraften. ­

FISCHER: Die Grünen wurden schon immer von Leuten verlassen. Denken Sie an Rudolf Bahro. Ich denke auch an die bei den Grünen kaum noch vorhandenen Wertkonservativen, , die in der Gründungsphase wesentlich stär- Realos SChily, Fischer· ker vertreten waren. Anpassung an den rechten Zeitgeist? Das waren keine dramatischen Abspaltungen, es sind Leute einfach nur weggeblieben.

SPIEGEL: Es stört Sie also nicht sonderlich, wenn jetzt die Fundis langsam die Lust verlieren und schließlich abhauen?

FISCHER: Wollen wir doch mal diese Situation knapp, aber sachlich analysieren. Der Fundi/Realo-Konnikt ist zwischen Hamburg und Hessen entstanden, in Hessen auf dem Hintergrund der rotgrünen Entwicklung. Mit dem Ende der Koalition wurde dieser Konnikt leblos. Er hat sich verselbständigt ohne Fundament in der Sache. In Hamburg hat die GAL nach dem ersten Wahlerfolg noch Verhandlungen mit der SPD über Tolerierung geführt. Nach dem zweiten großen Wahl erfolg wurde sie politikunfähig durch ihren praxislosen Radikalismus.

SPIEGEL: Und was folgt aus der Analyse? Welche Rolle bleibt den Fundamentalisten bei den Grünen?

FISCHER: Tatsache ist, daß die Fundis für die Partei gegenwärtig keine eigenständige, gangbare Strategie der Politik entwickelt haben. Sie wollen im wesentlichen nur noch die sogenannten Realo-Verräter bremsen. Seit Karlsruhe ist jetzt bei denen selbstkritische AuseinanderSetzung angesagt.

SPIEGEL: Nach bislang herrschender Realo-Ansicht verscheuchen die doch nur die Wähler.

FISCHER: Dann nicht, wenn wir Regeln des Umgangs untereinander finden.

SPIEGEL: Das ist doch keine Frage der Etikette, sondern der politischen Inhalte.

FISCHER: Das ist eine Frage, wieweit es gelingt, den innerparteilichen BOndnischarakter der Grünen, der ursprünglich ihre Stärke war und der sie ja immer noch stark bestimmt, in innerparteiliche Verfahren umzusetzen. Alle Beteiligten - das verstehe ich unter Neuanfang - müssen von ihrer jeweiligen Position her zu einem Konsens finden. Da wird es immer unterschiedliche Gewichtungen geben. Die Fundis sind in der Partei, niemand will sie hinausdrängen.

SPIEGEL: Machen Sie sich und Ihren Gegnern nicht etvias vor? Die Grünen leiden doch an dem gleichen Problem wie die anderen Parteien: Sie haben eine zu große Spannweite. Können Sie denn Fundi Thomas Ebermann' folgen, der sagt, er fühle sich "verantwortlich für die Linken in und außerhalb der Grünen"?

FISCHER: Meine Güte! Daß Ebermann sich für die Linken innerhalb und außerhalb der Grünen verantwortlich fühlt und sich in der, Nachfolge von Karl Marx weiß, will ich ihm nicht bestreiten. Diese Verantwortung zu übernehmen, würde ich nicht wagen. Ich hoffe auf eine erneute Mobilisierung resignierter Mitglieder und Anhänger durch Karlsruhe. Ich wäre auch zufrieden wenn sich einige Leute wieder verstärkt für das grüne Projekt verantwortlich fühlen würden.

SPIEGEL: Im Kopf von Ebermann sieht das grüne Projekt anders aus als in Ihrem. Als Alibi-Linke ohne Einfluß auf die grüne Politik wollen sich die Fundis verständlicherweise nicht mißbrauchen lassen.

FISCHER: Die haben in Karisruhe ein idiotisches Verhalten an den Tag gelegt. Mit ihrer Basisbeschimpfung haben' sie zahlreiche Delegierte vergrault. Wenn sie so weitermachen, geraten sie in der Tat auf einen hessischen Weg, wo sich die Fundis durch eigenes Zutun mehr und mehr isoliert haben und auf Landesparteitagen 10 oder 15 Prozent bekommen. Das müßte aber nicht so sein.

SPIEGEL: Wundem Sie sich nicht, wenn Ihnen keiner so recht über den Weg traut? In Hessen haben die Realos durchgezockt, die Fundis sind Randfiguren.

FISCHER: In Hessen mußten wir durchzocke!J, nachdem wir x-mal versucht haben, gemeinsam etwas hinzukriegen. Und das geschah unter den Bedingungen der rot-grünen Koalition, als es um die Existenz der Partei insgesamt ging. Auf Bundesebene wäre ein solcher Durchmarsch selbstmörderisch.

SPIEGEL: Der Wolf hat Kreide gefressen. Haben Sie Angst, ohne die Alibi-Linken unter die Fünf-ProzentHürde zu fallen?

FISCHER: Nein, die Fünf-ProzentHürde würde ich nicht fürchten. Nur: Die grüne Partei würde einen Teil ihres inhaltlichen Potentials verlieren. Und das mit den Alibi-Linken ist doch Quatsch. Ich bezeichne sie auch gar nicht als Linke, sondern als Traditionssozialisten. Ich bin ein Linker und lasse mir das von niemandem absprechen. Aber dieses Element der Traditionssozialisten gehört mit zu den Grünen. SPIEGEL: Aber Sie fordern Selbstkritik auch von denen?

FISCHER: Zweierlei Dinge gehen wirklich nicht. Punkt 1: Unterschiedliche Positionen müssen nebeneinander diskutiert werden können, ohne daß gleich das Verratsgeschrei anhebt. Nur, an der Position der Gewaltfreiheit darf nicht herumgedoktert werden, und die Grünen dürfen auch nicht als Reformprojekt in Frage gestellt werden. Punkt 2: Meines Erachtens geht auch nicht, daß man sich mit Mehrheitsbeschimpfungen und Untergangsbeschwörungen ' immer weiter isoliert. Die Fundis müssen sich nur mal klarmachen, warum sie keine eigenständige Strategie zuwege bringen, die auch bei Wählerinnen und Wählern ankommt.

SPIEGEL: Mit anderen Worten: Die sollen sich mal angucken, was der Fischer in Hessen leistet? Der macht eine tolle Opposition. Seine Realos werden bei den Kommunalwahlen in Frankfurt vielleicht eine rot-grune Koalition etablieren, während die Hamburger.Alternativen unter runf Prozent fallen.

FISCHER: Schaden könnte das nicht, wenn die darüber nachdenken. In Hamburg gibt es eine ideale Situation rur die Grünen, da die sozialliberale KoäIition dort nur so knirscht. Für jeden Grünen, der politisch ein bißehen was versteht und gleichzeitig sein Programm durchsetzen will, wäre es - auch aus der Opposition heraus - eine Lust, dort Politik zu machen: Die GAL aber hat selbst völlig abgedankt und überläßt der SPD oder der Resignation wahre Wählerscharen.

SPIEGEL: Gerade dies ist eines der größten innerparteilichen Konfliktfelder: Die Realos, lautet die Kritik, seien geradezu programmiert auf "unbe- grenzte Koalitionsfähigkeit" - egal, mit wem: SPD hier, CDU dort.

FISCHER: Ich weigere mich, jetzt in dieses theoretische Schlammbad einzutauchen. Mache ich nicht! Die mUssen mir -erst mal sagen: Wo war die unbegrenzte .Koalitionsfähigkeit der Grünen in Hessen? Ich bin selbstverständlich gegen· eine Koalition, in der wir entscheidende Grundsätze unserer Politik nicht vetwirklichen können. Das haben wir in Hessen gezeigt. Aus Bayern gab. es gerade einen Beitrag, der sagte: laßt uns diese CSU-Herrschaft im Land nicht als gottgegeben und rur ewige Zeiten hinnehmen. Das, finde ich, ist eine richtige und wichtige Diskussion.

SPIEGEL: Und in Baden-WUrttemberg haben Grüne die Idee aufgebracht, zusammen mit Lothar Späth den Kapitalismus zu reformieren.

FISCHER: Der Zeitpunkt und die Verbindung mit einem Angebot zur Tolerierung gegenUber Späth waren wohl nicht richtig. Die Diskussion generell zu verbieten ist ebenso töricht. Aus der jeweiligen spezifischen Situation heraus - ruhend auf der Grundlage unseres Programms - sollte die mögliche Durchsetzbarkeit sehr pragmatisch orientiert diskutiert werden. Festzuhalten bleibt aber, daß ich gegenwärtig mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten auch mit einer modemen CDU sehe; von der Mehrheit der Union ganz zu schweigen.

SPIEGEL: Sollen denn die Fundis trotz allem bei der Neuwahl des Bundesvorstandes im März beteiligt werden?

FISCHER: Ich wünsche mir keinen unicoloren Vorstand. Ich wUnsche mir eine Reformmehrheit, die in etwa den Mehrheiten in der Partei entspricht. Ich halte überhaupt nichts davon, nur die Bunkerbesatzungen auszuwechseln ..

SPIEGEL: Ein Fundi, ein Realo, ein "Aufbruch"-Mensch solIen als Sprecher künftig an die Spitze der Partei?

FISCHER: Das überlassen wir mal getrost der kommenden Bundesversammlung. Es wäre töricht von einem Promi, irgendeine Vorgabe zu ma-ehen. Die Grünen mögen das nicht - und zu Recht nicht.

SPIEGEL: Sie dürfen doch wohl sagen, was Sie sich wünschen?

FISCHER: Auch wenn Sie mich mit Verschwörer-Miene fragen, sage ich Ihnen: Ich will keine Politik, die heißt, jetzt ziehen wir realo- und aufbruchmäßig durch. Das würde, glaube ich, nicht nur von den Delegierten nicht mitgemacht, sondern es wäre für die Partei zerstörerisch.

SPIEGEL: Sollten die Grünen sich· nach Ihren Vorstellungen entwickeln, könnte Kohl sich freuen: Sie würden vor allem der SPD. die Wähler abspenstig machen. Dann reicht es weder für RotGrün noch für Sozialliberal.

FISCHER: Ich bin mir sicher, daß diese Beschreibung falsch ist. Ich habe den Traum von einer linken ökologischen Refonnmehrheit in dieser Republik bis heute nicht aufgegeben. Wir stecken jetzt weltweit in konservativen Jahren. Aber ich bin ganz sicher, daß die anscheinend' immerwährende Kanzlerschaft Helmut Kohls die Konservativen in den neunziger Jahren die strukturelle Mehrheitsfähigkeit kosten wird. Er blendet die Grundfragen aus, er ist unfähig, die ökologische Krise zu lösen oder auch die Demokratie fortzuentwikkein. Demokratie wird reduziert auf das Betrachten eines Schweinedurchtriebs durchs politische Dorf. Ich bin ganz sicher, daß wir in den neunziger Jahren eine linke Grundstimmung bekommen werden. Ich will Refonnmehrheiten organisieren, die dann auf Bundesebene in den neunziger Jahren zum Tragen kommen, wenn die Restaurationsrepublik des Dr. Kohl zu Ende gehen wird.

SPIEGEL: Liegt nicht die Gefahr näher, daß die Grünen allmählich zu einer Partei wie alle anderen werden - stinknormal wie eine Alt-Partei?

FISCHER: Wenn eine Partei mit solcher Begeisterung einen mehrfachen gewaltfreien Königs-· und KöniginnenMord öffentlich vollzieht wie in Karlsruhe, so zeigt sich, daß sie aus demokratischem Urgestein besteht. Sollte dies zur .,Strukturnonnalität" der anderen Parteien werden, dann aber ein lautes Hurra.

SPIEGEL: Ihre Gegner haben die schreckliche Vorstellung, die Grünen würden nur noch in Lackschuhen auf Empfängen herumstehen, statt in Parkas gegen Kernkraftwerke zu demonstrieren.

FISCHER: Ich hasse Lackschuhe und finde Empfänge langweilig. Ich wünsche mir also zu Weihnachten einen Bundesvorstand, der verstärkt wieder gewaltfreie außerparlamentarische Aktivitäten organisiert, innerparteilich integriert und dann meinetwegen in Gummistiefeln bei Herrn Gorbatschow erscheint, um dort für einen Ausstieg aus der Atomenergie zu werben.

SPIEGEL: Herr Fischer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

07.05.2012 / Tina Stadlmayer

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