Im Arbeitsgewand ist Bonn vergessen

30.3.1987

SPIEGEL-Redakteurin Tina Stadlmayer über den Bauernkrieg bei den Grünen


Ich bin fon meinen Beruf ögonohm und durch das Ferdrauen des Folkes barlamendarrischer Abgeometer. Und ier werz schohn sehgn das ich nichd gahr so thum bien sontem hell auf der Plathen. Ludwig Thoma: Jozef Filsers Briefwexel 1907-1912

In der Lobby des Deutschen Bundestags steht breitbeinig in Hirschlederhosen ein Neuling im Parlament: Hias Kreuzeder, 38, Bauer und grüner Abgeordneter aus Freilassing in Oberbayern. Folklorewirksam zieht er an seiner Pfeife. Wenn er den Mund aufmacht, brechen die Presseleute in Entzücken aus: "Der redet ja richtig bayrisch, man kann fast gar nichts verstehen!"

Hias Kreuzeder gefällt sich in der Rolle des Paradebayern. Die Hörschwierigkeiten der Journalisten nimmt er cool: "Was wollt 's denn, ich versteh' euer Preußisch ja auch." Dann gerät er in Fahrt: "So ein lackiertes Volk! Mir graust richtig vor diesen Dickbäuchen mit ihren blitzblanken Schuhen. "

Gemeint sind die Abgeordneten des 11. Deutschen Bundestages, die zur konstituierenden Sitzung zusammengekommen sind. Während im Plenarsaal die Stimmen für die Wahl des Parlamentspräsidenten ausgezählt werden, drängeln sich die Volksvertreter in der Lobby. Etwas abseits, außerhalb der Schußlinie der Photographen, beobachtet ein weiterer grüner Parlamentsneuling den Rummel. Dora Flinner, 47, Bäuerin aus Boxberg im baden-württembergischen Frankenland. Sie schaut unauffällig aus, ist Brillenträgerin und bemüht, hochdeutsch zu sprechen.

Die beiden Agrarpolitiker der Grünen- Fraktion, Dora Flinner und Hias Kreuzeder, haben eines gemeinsam: Direkt vom Bauernhof weg sind sie in den Bundestag eingezogen. Hubert K1einert, der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, hatte die beiden bereits als Traumpaar angekündigt: Sicher sei, mit dem agrarpolitischen Arbeitskreis werde es keine Probleme geben.

Weit gefehlt. Die beiden Bauern trennt eine erbitterte Feindschaft. Bereits in der Woche nach der Wahl gab es Krach. Wegen der Mitarbeiter, wegen der Büros, wegen überhaupt allem.

Dora Flinner und Hias Kreuzeder stehen für Extreme und Widersprüche" wie sie in der grünen Partei zu finden sind - und selten so klar.

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Inmitten einer der letzten Aulandschaften Bayerns bei Freilassing liegt der Weiler Eham mit dem Hof des Hias Kreuzeder. Ein stolzes, hundertjähriges Haus aus Felsen und Schlackensteinen.

In der guten Stube auf der gemütlichen Eckbank sitzt der Kreuzeder mit seinen Töchtern (fünf, zehn und 13 Jahre alt) und erzählt: "Sobald ich hier mein Arbeitsgewand anhab' und im Stall steh', ist Bonn vergessen."

Natürlich hat er seine Familie gefragt, ob es ihr recht sei, daß er als Abgeordneter in die Bundeshauptstadt zieht. "Mir san scho stolz auf ihn, wenn mir auch traurig san, wenn er weg ist", ergänzt seine Frau, im geblümten Hauskleid, mit Lockenwicklern am Kopf. Für die nächsten vier Jahre macht die Arbeit auf dem Hof sein jüngerer Bruder.

Vor sechs Jahren hat die KreuzederFamilie ihren Betrieb auf biologischen Anbau umgestellt. Im Stall stehen 40 Pinzgauer Kühe (Kreuzeder: "Die geben' zwar weniger Milch, aber sie sind widerstandsfähiger") und ein schwarzer Geisbock namens Moritz ("Der vertreibt die Rinderseuche"). Mit seinen Nachbarn hat der Kreuzeder keine Schwierigkeiten. Die betreiben zwar alle noch konventionellen Landbau, aber einige konnte er schon von der Monokultur abbringen. Und seit Tschernobyl wählen viele der stockkonservativen Bauern im Rupertiwinkel die Grünen.

Keine Gegend in Westeuropa ist so stark von den Auswirkungen der Atom- Katastrophe fern in der Ukraine betroffen. Bei Hias Kreuzeder lagern 40 Tonnen radioaktiv verseuchtes Heu auf dem Boden. ,,250 Millionen Becquerel werden das schon sein", meint der Landwirt. Was er damit macht? "Verfüttern natürlich, was soll ich denn sonst tun?" Allerdings: Seine Milch verkauft er seit Tschernobyl nicht mehr direkt an die Verbraucher, sondern erst an die Molkerei. Dort wird sie mit weniger verstrahlter Milch vermischt.

Durch Tschernobyl ist seine Wut auf die Regierenden noch gewachsen; doch schon seit sechs Jahren engagiert er sich bei den Grünen. "Das klingt jetzt wie ein Märchen" , erzählt er, "aber jedesmal beim Kunstdüngerstreuen hab' ich gemerkt, daß hier etwas völlig falsch läuft. Als sie mir dann noch die Bundesstraße direkt vor das Haus gebaut haben, da bin ich aufgewacht."

Seitdem bekämpft er die zwei bayrischen Fruchtfolgen, wie er es nennt: Die erste ist der Obrigkeitsstaat - "Kaiser, König, Adolf, Franz Josef." Mit der zweiten meint er das unausweichliche Bauernschicksal: Vollerwerb, Nebenerwerb, Zuerwerb, Aufgeben.

Mit solchen Schlagworten kommt er auf Wahlveranstaltungen gut an. Und seine Zuhörer wissen, daß bei dem daheim in der guten Stube - wie im Herrgottswinkel jedes alten Hauses - ein Kruzifix hängt. Deshalb muß er manchmal erklären, warum die Grünen die Abtreibung freigeben wollen - und ob er denn überhaupt katholisch sei? Dann erwidert er, er erziehe seine Kinder nicht kirchlich, sondern menschlich.

Am liebsten wäre es ihm, gesteht der Abgeordnete Kreuzeder , wenn er eines Tages überflüssig würde als Bauer im Parlament. Eingewöhnt hat er sich in der Hauptstadt nicht: "Mein Leben daheim und in Bonn, das sind absolute Gegensätze. Ich habe mir meine Vollkornprodukte vom Bauernhof mitgebracht, aber zum Frühstücken hab' ich kaum Zeit." Die Hochhäuser im Regierungsviertel findet er abscheulich: "Wenn das der Ausdruck des geistigen Zustandes unserer Regierung ist, dann wissen wir, was los ist."

Aber es macht enormen Spaß, im Parlament neben den Großkopferten zu sitzen; wichtiger als endlose Diskussionen im Bundestag und in der Fraktion ("Die meisten Abgeordneten sind Lehrer oder Pädagogen. die reden stundenlang um den heißen Brei herum") ist ihm das Gespräch an der Basis.

Da will er den Bauern klarmachen, daß sie umdenken müssen. um nicht völlig von der Industrie abhängig zu werden. Den neuen Abgeordneten-Status setzt er gezielt ein: "Wenn auf einer Einladung steht, daß ich MdB bin, dann kommen gleich dreimal so viele."

Ist er ein Fundi oder ein Realo? Davon will der Kreuzeder nichts wissen. In Bonn geht er bewußt abwechselnd in die rot-grüne Kungel-Kneipe und in die, weniger bekannte, Fundi-Kneipe. Aber er besteht darauf, ein Linker zu sein. Das unterscheidet ihn von seiner Konkurrentin

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Ja, liber Schbezi, fon disen bolid ischen Kämbfen macht sich keiner eine Forstelung, der wo drausen is und fieleicht klaubt, das Regim is so leichd, oder es is lau der Frieden un Eunigkeit in der bardei.

Dora F1inner scheint das genaue Gegenteil von Hias Kreuzeder. Sie ist eine zutiefst konservative und religiöse Frau. Als Mitglied der pietistischen Evangelikalen, einer Rechtsaußengruppe der Protestanten, die nur die Buchstaben der Bibel gelten läßt, bezieht sie eindeutige Positionen. Den Paragraphen 218 etwa hält sie ganz in deren Geist für liberales Teufelswerk. Und zum Thema Aids meint sie: "Die Grünen sollten nicht von Kondomen reden, sondern zur Enthaltsamkeit und zur ehelichen Treue aufrufen.

Eigentlich hatte niemand damit gerechnet, daß die konservative Bäuerin in den Bundestag einziehen würde. Hias Kreuzeder sah sich mit seinem sicheren zweiten Platz auf der bayrischen Landesliste als Vorzeige-Bauer der Fraktion auf Bundesebene. Sein Feld in Bonn hat e;' bereits vor der Wahl bestellt. Den beiden wissenschaftlichen Mitarbeitern seines Vorgängers versprach er, sie würden weiterbeschäftigt.

Aber die Parteifreunde :n BadenWürttemberg waren auch nicht schlecht, und so ist Dora F1inner mit Platz sieben auf der Liste reingerutscht. Bereits am Tag nach der Wahl reiste sie nach Bonn und sah sich vor vollendeten Tatsachen: Acht Wochen lang dauert nun schon der Streit, wer wie viele und welche Mitarbeiter bekommt und wer welche Politik bei den Grünen anleiern will. Über ihren Kontrahenten Kreuzeder sagt die F1innerin: "Er beklagt sich, daß viele Frauen so unselbständig sind. Aber durch Männer wie ihn werden die Frauen kleingemacht."

Dora F1inner, die bei Fraktionssitzungen meist schweigend und strickend dabeisitzt. entwickelt Kampfgeist, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlt. Sie sieht es als ihr gutes Recht an, ihren Vertrauten Horst Oellers, den Geschäftsführer der Bundschuh-Genossenschaft, als persönlichen Mitarbeiter einzustellen.

Bis vor wenigen Jahren war sie CDUWählerin und geriet erst zu den Grünen, als Daimler-Benz bei ihrer Heimatstadt Boxberg eine Teststrecke mit einem rund elf Kilometer langen Rundkurs plante. Seit neun Jahren kämpft sie gegen den Konzern - letzten Dienstag entschied das Bundesverfassungsgericht völlig unerwartet für die Bundschuh-Bauern

Die Grünen waren in Boxberg die einzige Partei, die sich für die Bauern gegen Daimler stark machte. Deshalb zog Dora F1inner 1980 für die Öko-Partei ins Rathaus ein. Ihren Kampf gegen die Zerstörung der Natur, aber auch gegen Atomkraftwerke und Cruise Missiles begründet sie religiös: "Wir müssen die Schöpfung bewahren."

Stundenlange Diskussionen in der Fraktion. Streit im agrarpolitischen Arbeitskreis. Ihre erste Woche im Parlament hat sich Dora F1inner anders vorgestellt. Zu Hause mag sie nicht mehr von Bonn erzählen; sie fürchtet, ihr Mann könnte sagen: "Frau, gang wieder hoim." "Ich fehl' ihm schon sehr". weiß die Bäuerin, immerhin war sie es, die sich bisher um alles Organisatorische auf dem Hof gekümmert hat. Auch ihre drei Töchter (16, 18 und 20 Jahre alt) sind nicht begeistert. daß die Mutter nun als Abgeordnete in Bonn sitzt. An ihnen bleibt, solange keine Aushilfskraft gefunden ist, die ganze Arbeit im Haushalt und im Stall hängen.

Dora F1inners Anwesen ist ungefähr so groß wie das Kreuzedersehe bei Freilassing. 30 Kühe und 26 Hektar biologisch bebautes Land. Nun hat die Flinnerin Angst, daß zu Hause alles drunter und drüber geht, wenn sie in Bonn ist. Erst vor wenigen Tagen bekam sie in Boxberg einen Telephoilanschluß; da kann sie wenigstens kurz anrufen und telephonisch Ratschläge erteilen.

Hias Kreuzeder sitzt mit seinen beiden Mitarbeitern im Hochhaus am Tulpenfeld und tüftelt an seiner fünften parlamentarischen Anfrage. Nebenan ist Dora F1inner dabei, ihr Büro einzurichten. Zwischen den beiden Abgeordneten gibt es keinen Kontakt. Sie reden nicht privat und schon gar nicht politisch miteinander. Dabei sind sie in der Agrarpolitik noch beieinander. Beide setzen sich für die bäuerlichen Klein- und Mittelbetriebe und für die Förderung des ökologischen Anbaus ein.

Hias Kreuzeder ist wie der grüne Europaparlamentarier Graefe zu Baringdorf Mitglied der "Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft" . Diese kämpferischen Jungbauern bezeichnen sich selbst als Agraropposition - zu Regierung wie zu Verbänden. Ihnen kommen gelegentlich spektakuläre Einfälle, zuletzt im Sommer. als sie eine Kuh demonstrativ vor den Deutschen Bundestag scheißen ließen.

Dora Flinner kämpft als Bundschuh-Bäuerin vor allem in ihrer Heimat Baden- Württemberg gegen Großprojekte wie die Daimler-Teststrecke. Von den radikaleren Bauern wird den Bundschuhlern vorgeworfen, sie seien legalistisch, da sie ihre Ziele vor allem im Gericht erreichen wollen.

Seine Feindschaft mit Dora Flinner begründet Hias Kreuzeder jedoch ganz anders: "Ich kann doch nicht mit einer Frau zusammenarbeiten, die gesamtpolitisch Ansichten vertritt. wie ich sie seit Jahren bekämpfe."

Und außerdem können sich die beiden wohl einfach nicht ausstehen.

30.03.1987 / Tina Stadlmayer

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