Kommentar Südkoreas Wandel

29.12.1995

Suedkoreas langsamer Wandel


Ungewoehnliche Bilder waren in den vergangenen Wochen aus Suedkorea zu sehen: Ex-Praesident Roh Tae Woo in weisser Gefangenenkluft vor den Richtern. Seine Mitangeklagten: sieben Bosse der fuehrenden Konzerne und andere prominente Wirtschaftsexperten. Rohs Vorgaenger, der einst gefuerchtete Militaerdiktator Chun Doo Hwan wurde ebenfalls ins Gefaengnis gesteckt und ist seit drei Wochen im Hungerstreik. Die beiden Ex-Generale muessen sich wegen Bestechlichkeit, wegen des Militaerputsches von 1979 und des Massakers von Kwangju vor Gericht verantworten. Vergangene Woche wechselte der amtierende Praesident Kim Young Sam ausserdem fast sein ganzes Kabinett aus und benannte die Regierungspartei in "Partei fuer ein Neues Korea" um. Im Land der Morgenfrische scheint eine neue Zeit anzubrechen.

Jahrelang hatte Kim Young Sam seine Vorgaenger geschont, weil er ihnen sein Amt als Praesident verdankt. Die Mehrheit der Suedkoreaner hatte schon lange die Verhaftung der korrupten Militaers gefordert, die beide Blut an den Haenden haben. Nun verlangt ploetzlich auch Kim Young Sam, dass sie fuer ihre Taten geradestehen. Das hatte ihm kaum jemand zugetraut. Der erste Zivilist im Praesidentenamt seit drei Jahrzehnten galt vielen als Anpasser. Fest steht: Er hat die juengsten Ereignisse ins Rollen gebracht. An einem gewissen Punkt aber haben sie eine enorme Eigendynamik entwickelt.

Kim war 1992 mit dem Versprechen angetreten, ein "Neues Korea" zu schaffen und die Korruption auszurotten. Seine groesste Tat: Er verbot das Fuehren von Konten unter falschem Namen. Dadurch kam der Korruptionsskandal um Roh Tae Woo ans Licht. Denn der Ex-Praesident hatte einen Teil seiner Millionen auf solchen Konten liegen. Ein Oppositionspolitiker prangerte ihn oeffentlich an, die Staatsanwaelte fassten nach und deckten auf, was in Suedkorea jeder wusste: Die grossen Unternehmen hatten Roh Tae Woo und seine Vorgaenger mit enormen Summen geschmiert, um an Staatsauftraege und billige Kredite zu kommen. Praesident Kim Young Sam hatte von diesem Moment an nur noch wenig Einfluss auf die Ereignisse. Mehr noch, er musste fuerchten, selbst in den Skandal hineingezogen zu werden. Es steht fest, dass Roh als Vorsitzender der Regierungspartei viel Geld in die Parteikasse steckte - und Kim seinen Wahlkampf aus diesem Topf finanzierte. Bislang konnte der Praesident nicht beweisen, dass er eine saubere Weste hat.

Kim Young Sam startete ein Ablenkungsmanoever. Der Zeitpunkt war guenstig, denn die Rufe nach einer sauberen Politik wurden lauter. Er erliess ein Spezialgesetz zur Bestrafung der Verantwortlichen fuer den Putsch von 1979 und das Massaker von Kwangju. Endlich kommt nun Licht in das dunkelste Kapitel der juengsten suedkoreanischen Geschichte. Viele junge Koreaner wissen nicht, dass Chun Doo Hwan und Roh Tae Woo durch einen blutigen Militaeraufstand an die Macht kamen. Das darauffolgende Massaker von Kwangju, bei dem nach Augenzeugenberichten ueber tausend Buerger niedergemetzelt wurden, kommt in den meisten Geschichtsbuechern nicht vor.

Auch wenn er damit nur von seiner Verwicklung in den Finanzskandal ablenken wollte, es ist Kim Young Sams Verdienst, dass sich die Taeter von Kwangju endlich vor Gericht verantworten muessen. Mit ihnen werden auch jene Abgeordneten aus der Politik verschwinden, die in der Zeit der Militaerdiktatur Verantwortung trugen. Damit kommt Suedkorea der echten Demokratie ein grosses Stueck naeher.

Auch die Enthuellungen ueber die korrupten Machenschaften Roh Tae Woos und Chun Doo Hwans werden den Wandel von der Diktatur zur Demokratie beschleunigen. Es ist schwieriger geworden fuer die Konzerne, die Regierung zu bestechen. Bislang regierten die alten Familienpatriarchen die Konzerne. Sie weichen nun nach und nach jungen Managern, die weniger auf Kungelei und mehr auf Wettbewerb setzen. Suedkoreas Wirtschaft, die unter dem Ruf litt, schlechte Qualitaet zu produzieren, wird dadurch gestaerkt.

Natuerlich wird auf mittlerer und unterer Ebene weiter bestochen werden. Aber das ist in ganz Asien so und in Europa nicht anders. Es ist Praesident Kim Young Sams Verdienst, die Korruption auf ein "normales" (wenn auch nicht akzeptables) Mass eingeschraenkt zu haben. Er hat noch mehr geschafft: die Sozialgesetze verbessert, den Geheimdienst entmachtet und das Militaer demokratisiert. Trotzdem wird er nicht als strahlender Held der Demokratie in die Geschichte eingehen. Nach wie vor werden in Suedkorea die Meinungsfreiheit und die Rechte der Gewerkschaften unterdrueckt. Und die fruehere Kungelei des Praesidenten mit den Militaers und sein eigenes undurchsichtiges Finanzgebaren werfen weitere dunkle Schatten. Der Austausch des Kabinetts, die Umbenennung der Partei, das sind symbolische Aktionen, aber sie weisen darauf hin, dass der Praesident den Geist der Militaerdiktatur loswerden will.

Im kommenden Fruehjahr sind Parlamentswahlen. Dann wird sich zeigen, ob die Suedkoreaner den Mut haben, auf eine juengere Politikergeneration zu setzen, die mit den Militaers nichts mehr zu tun hat. Kim Young Sams Amtszeit laeuft 1997 auf jeden Fall aus. Spannend wird, ob es ihm gelingt, einen Nachfolger zu plazieren - oder ob sich die Waehler zum ersten Mal in der suedkoreanischen Geschichte fuer einen Kandidaten der Opposition entscheiden.

29.12.1995 / Tina Stadlmayer

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