Kinderfest beim Wende-Kanzler

19.09.1986

Der Bundeskanzler servierte und niemand kotzte


Von Tina Stadlmayer

"Ich hab Sie doch hoffentlich nicht aufgeweckt. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß Sie heute noch nicht zu unserem Kinderfest beim Bundeskanzler kommen können. Die Dame, die Ihre Anmeldung bestätigt hat, hat sich geirrt: Da sind nämlich in erster Linie Kinder- und Jugendzeitungen eingeladen." Dieser Anruf aus dem Bundeskanzleramt war vielleicht ein Schock am frühen Morgen. (Mein Wohnungsgenosse Wolfgang hat sich zu allem Unglück auch noch mit "Hier Zirkus Sarrasani!" gemeldet). Dabei hatte ich mich - kindisch wie ich bin - doch so aufs Kanzlerfest gefreut. Das mit den Kinder- und Jugendzeitungen ist nämlich Quatsch (Bild, Welt, alle waren eingeladen ...). Schuld ist einzig und allein der Kollege Tolmein, der vor ein paar Wochen in der taz ankündigte, daß McDonalds eigens fürs Kinderfest einen Kanzlerburger kreieren will: "Das kann ja ein fröhliches Kotzen werden". Solcherart Vorberichterstattung wird im Bundeskanzleramt nicht gern gelesen. Ich war dann übrigens doch dort. Hab mich einfach als Kind verkleidet. Inmitten der Achtklässler von der Hauptschule Bergheim bin ich reinmarschiert. Auf der Wiese vor dem Bundeskanzleramt treffe ich als erstes Verteidigungsminister Wörner, umringt von jugendlichen Autogrammjägern. Auf seinem Revers prangt ein Button mit dem Clown Ronald McDonald. Auf meine Frage, ob er denn Reklame für Hamburger mache, meint er: "Wieso? Das hat man mir einfach gegeben." Er wirft einen fragenden Blick auf seinen Pressesprecher und reißt sich den Button dann doch lieber vom Jacket. Vor einem Werbestand der Milchindustrie ("Milch macht fit") steht Ernährungsminister Kiechle und fragt die Kinder: "Trinkt ihr denn auch alle gerne Milch?" Eva (12) darauf: "Seit Tschernobyl trinke ich lieber Kaffee." Und Uwe (8) fragt den Minister: "Vererben Sie Ihr Amt einmal an Ihre Kinder?" Die Kinder belagern vor allem die Stände, an denen es Technik zu sehen gibt: AEG stellt Solarautos vor, und bei AUDI zeigen weibliche Lehrlinge, daß sie auch mit Maschinen umgehen können. Daneben buhlen Coca Cola und eine Fruchtsaftfirma um die Gunst der Kinder. Auf der Bühne bewegen sich ruckartig einige Pantomimen und halten verschiedene Markenprodukte hoch. Vor dem Palais Schaumburg schließlich Gruppenfoto mit dem Kanzler. Danach dürfen die Kinder in einem richtigen Fernsehstudio Prominente interviewen. Susanne Kronzucker (Journalistin und Journalistentochter) leistet Hilfestellung. Familienministerin Süssmuth wird gefragt: Wie das denn sei mit den Atomstrahlen, ob die immer noch gefährlich sind? Ministerin Süssmuth: "Bei uns gibt es keine Gefahr, aber in der Sowjetunion leiden die Kinder sehr unter den Strahlen." Der groß angekündigte Kanzlerburger war übrigens ein "stinknormaler Hamburger", wie Joachim (13) feststellte. Soweit ich es mitbekommen habe, hat er sich niemand übergeben. Ich bin allerdings auch nicht bis zum Schluß dortgeblieben.

19.9.1986 taz 53 Zeilen, Tina Stadlmayer S. 4

19.09.1986 / Tina Stadlmayer

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