Mit Clement brechen?

27.03.2000


taz: Herr Fücks, steckt Ihre Partei in einer existentiellen Krise? Ralf Fücks: Da ist schon was dran. Nicht nur wegen der bedrohlichen Serie von Wahlniederlagen, sondern auch wegen einer inhaltlichen Ermüdung. Es ist nicht mehr deutlich, wofür die Grünen über ihre aktuellen Reformvorhaben hinaus stehen. Der Atomausstieg, die Ökosteuerreform, ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht: Anstatt darauf stolz zu sein, was sie auf den Weg gebracht haben, leiden sie unter der Regierung.

Wenn die Grünen ...

... ihre Rolle als Innovationsmotor verlieren, sind sie überflüssig. Sie können sich nicht auf ein traditionelles Interessenmilieu stützen. Grünen-Wähler sind Überzeugungswähler, die wissen, dass grundlegende Veränderungen in der Gesellschaft anstehen.

Welches Signal ist vom Parteitag vor einer Woche ausgegangen?

Bei der wichtigen Frage des Atomausstiegs haben die Grünen gezeigt, dass sie das Regieren lernen und sich nicht in eine prinzipienfeste Basis und eine pragmatische Elite auseinander dividieren lassen. Sie haben verstanden, dass Politik die Kunst des Möglichen ist. Das Ja zu den Leitlinien für den Atomausstieg und das Nein zu Rüstungsexporten und Krediten für Atomtechnologie - ohne damit automatisch die Koalitionsfrage zu verbinden - das waren gute Entscheidungen.

Haben die Grünen nicht schon zu viele Kröten geschluckt, seit sie mitregieren?

Nein. Wir müssen uns auch von Omnipotenzfantasien verabschieden. Schließlich haben wir nur sechs Prozent bei der Bundestagswahl gewonnen. Andererseits ist es völlig inakzeptabel, wie Schröder zum Beispiel die Initiative für eine Red-Green Card für DEV-Gastarbeiter inszeniert hat, ohne mit den Grünen vorher darüber zu reden.

Die Grünen hätten doch die Chance nutzen können, dem Vorschlag ihre Vorstellungen von Einwanderung entgegenzusetzen ...

Stimmt. Das Thema wird nicht als zentrales Projekt der Regierungscrew begriffen. Das ist kurzsichtig, denn damit könnten sich die Grünen viel Sympathie bis in die Kirchen hinein erwerben. Einwanderung sollte ein Schlüsselthema für die nächste Bundestagswahl werden.

Auch auf den Parteispendenskandal haben die Grünen erst sehr spät reagiert.

Es gab eine berechtigte Scheu, jetzt den überheblichen Haudrauf zu spielen - und zugleich sind die parteikritischen Traditionen der Grünen zu sehr in den Hintergrund gerückt. Im Kern geht es um ein urgrünes Thema: die Stärkung von direkter Demokratie, größere Öffentlichkeit und Transparenz. Die Rolle der Zivilgesellschaft in der Politik wird wachsen. Auf der internationalen Ebene sind Nichtregierungsorganisationen längst zu einem akzeptierten Partner geworden. Es ist natürlich ein Kunststück, selbst Partei sein zu wollen und trotzdem parteikritisch zu bleiben.

Haben sich die Delegierten des Parteitags deshalb gegen die Vereinbarkeit von Amt und Mandat entschieden?

Es gab eine Minderheit, die befürchtet, dass sich die Grünen zu einer stinknormalen vermachteten Partei entwickeln könnten. Mehr Professionalität und eine personelle Stärkung der Bundespartei waren ihr weniger wichtig.

Was meinen Sie?

Die Aufgaben von Parteivorsitz, Ministeramt und Fraktionsvorsitz sollten durchaus auf mehrere Schultern verteilt bleiben. Aber die generelle Trennung von Amt und Mandat ist Quatsch. Wir sind in der Gefahr, die Nachteile einer etablierten Partei und die einer alternativen Partei zu kombinieren: mächtige Einzelpersonen ohne Rückbindung an die Interessen der Partei und handwerklicher Dilettantismus ohne die Kreativität eines alternativen Projekts.

Was schlagen Sie vor?

Bundesvorstand, Fraktion und Minister müssen besser zusammenarbeiten. Ich hoffe, dass das neu geschaffene Präsidium ...

... das ja nicht so heißen darf ...

... ja, das Präsidium, das Parteirat heißen muss. Ich hoffe sehr, dass es diese Koordinierung übernimmt. Außerdem muss die Bundesgeschäftsstelle finanziell und personell gestärkt werden. Es fehlt das Instrumentarium, um Kampagnen zu organisieren oder um Spenden zu akquirieren.

Zum Spendeneintreiben will die Partei jetzt einen hauptamtlichen Profi einstellen ...

Das reicht nicht. Da müssten eigentlich alle mitmachen.

Ist das wegen des CDU-Spendenskandals nicht heikel?

Nein, gar nicht. Parteien können doch nicht allein am Staatstropf hängen. Die staatliche Grundfinanzierung ist dazu da, den Einfluss des großen Geldes zu begrenzen. Aber darüber hinaus müssen wir um Spenden von Mitgliedern und Förderern werben.

Mit welchen Themen können die Grünen wieder Profil gewinnen?

Die Grünen müssen die Rolle der ökologischen Partei wieder stärker spielen. Das Zeitalter ökologischer Politik hat noch gar nicht richtig begonnen. Der Durchbruch der Solarenergie steht noch aus. Die Grünen haben den Begriff der ökologischen Kreislaufwirtschaft zu Unrecht fallen gelassen. Dabei sind nachhaltige Rohstoffe und Recyclingfähigkeit ein innovatives Thema.

Was fällt Ihnen sonst noch ein?

Die Bio- und Gentechnologie. Die Grünen sind neben dem wertkonservativen Flügel in der CDU die einzigen, die nach den ethischen Grenzen des Machbaren fragen. Wollen wir die genetische Manipulation des menschlichen Lebens zulassen? Es ist wichtig, dass die Grünen gegenüber risikoträchtigen Entwicklungen moralische Gesichtspunkte in der Politik vertreten. Das ist ein urgrünes Anliegen.

Haben die Grünen das Thema "soziale Gerechtigkeit" vernachlässigt?

Nein. Aber wir müssen "soziale Gerechtigkeit" neu definieren, und davor scheuen viele zurück. Die Grünen stehen immer schon für Selbstbestimmung und Partizipation. Und in der Kombination von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung liegt auch ein Schlüssel für die Reform des Sozialstaats: Das Stärken von Genossenschaften und Selbsthilfe-Initiativen anstatt des hilflosen Versuchs, den allumfassenden Fürsorgestaat aufrecht zu erhalten. Wir brauchen eine neue Kombination von staatlicher Grundsicherung und bürgerschaftlichem Engagement. Der Wechsel zwischen Erwerbsarbeit und Bürgerarbeit muss erleichtert werden. Es ist ein Jammer, dass die Grünen in Hinblick auf diese Zukunftsthemen so wenig Lust ausstrahlen.

Warum gilt es bei jüngeren Wählern als uncool, sich bei den Grünen zu engagieren oder sie zu wählen?

Wir haben doch eine neue Generation von Mitgliedern zwischen 20 und 30, die eine produktive Unruhe in die Partei bringt. Aber ideologische Politik ist bei den Jugendlichen out. Sie stehen aber auch nicht auf Pragmatismus pur. Gerade den Jüngeren ist doch klar, dass die Rente radikal reformiert werden muss, dass wir eine nachhaltige Wirtschaft organisieren und den Arbeitsmarkt reformieren müssen. Wir müssen auch eine neue Bildungspolitik auf den Weg bringen.

Wie könnten die Bündnisgrünen im Osten wieder Fuß fassen?

Für eine nicht-etatistische Partei wird es im Osten bald eine größere Nachfrage geben, wenn sich die Gesellschaft kulturell differenziert. Die Menschen dort glauben immer weniger an die Allmacht des Staates. Bei ökologischen Themen und der Verteidigung von Ausländer- und Minderheitenrechten müssen die Grünen im Osten Durchhaltevermögen zeigen. Dafür werden sie auf mittlere Sicht belohnt werden.

Herr Fücks, Hand aufs Herz: Werden Sie auf dem Wahlparteitag der Grünen als Vorsitzender kandidieren?

Ich finde, Fritz Kuhn sollte antreten. Aus der Stiftung zieht es mich auch nicht weg. Alles andere ist Kaffeesatzleserei.

27.3.2000 taz Themen des Tages 206 Zeilen, TINA STADLMAYER S. 3

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