Kapitalismuskritik im Café Bilderbuch

28.5.2004

Sahra Wagenknecht, PDS-Kandidatin für die Europawahl, kämpft für das Beamtentum und gegen Konzernlobbies


Von Tina Stadlmayer, Berlin

Der Andrang ist groß im Westberliner Café Bilderbuch. Etwa 300 Mitglieder der Linken- und Alternativszene sind gekommen, um Sahra Wagenknecht zu hören. Die 34-jährige Wortführerin der Kommunistischen Plattform in der PDS kandidiert auf Platz 5 der Europa-Wahlliste ihrer Partei.

„Europäische Finanz- und Wirtschaftspolitik“ steht beim Wahlkampf-Termin im Café auf dem Programm. Steif auf einem hohen Hocker sitzend, wie immer schwarz gekleidet und mit todernster Miene, doziert die Kandidatin: „Einer von denen, die mit der europäischen Entwicklung außerordentlich zufrieden sind, ist der Chef des Thales-Konzerns, einer der größten europäischen Rüstungsschmieden.“ Der freue sich über den EU-Verfassungsentwurf, weil er „die Militarisierung Europas vorantreibt“. Deutsche und europäische Konzerne wollten eben „beim Kampf um die Beute der Kriege des 21. Jahrhunderts mit von der Partie sein“. Bei Kaffee und Kuchen nicken zwei lässig gekleidete Mitt-Fünfzigerinnen: Genau so, wie Sahra es beschreibt, sind die traurigen Verhältnisse. Zustimmend seufzen die beiden mutmaßlichen Pädagoginnen, als die Genossin auf die Vermögensverhältnisse zu sprechen kommt: „Die deutschen Privathaushalte haben drei Billionen Euro auf der hohen Kante.“ Das Geld sei aber höchst ungerecht verteilt: „Da mag der eine oder andere an seinen eigenen Kontostand denken.“

Es folgt eine vernichtende Abrechnung mit der Politik der rot-grünen Regierung: „Die Interessen, die sie leiten, sind die Interessen der Wirtschaftsverbände und Konzernlobbies.“ Rot-Grün gehe es vor allem „um die Verbesserung der Kapitalrendite“. Die Regierung praktiziere „den Abriss bereits erkämpfter sozialer Rechte“.

Mucksmäuschenstill lauschen die versammelten Alt-Achtundsechziger den monoton vorgetragenen, aber immer mit einer Prise Ironie – oder ist es Zynismus? – gewürzten Ausführungen der Ostberlinerin.

Sahra Wagenknechts Chancen, ins Europäische Parlament einzuziehen, sind nicht groß. Zwar hat sich die Genossin mit Hilfe der Parteilinken den fünften Platz auf der Wahlliste erkämpft – gegen den Willen des Vorstands. Voraussichtlich wird die PDS aber diesmal an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.

Zur Zeit ist die Partei mit sechs Abgeordneten im EU-Parlament vertreten. Die Kandidatin selbst gibt sich realistisch: „Über mangelnde Resonanz bei meinen Auftritten kann ich mich nicht beklagen. Aber ob das Wahlergebnis entsprechend ist, darüber will ich mir keine Illusionen machen.“

Im Café Bilderbuch herrschen Ernst und Konzentration. Den einzigen Lacher des Abends erntet die PDS-Finanzexpertin mit einem Witz über den amerikanischen Präsidenten: „Die SPD erwärmt sich jetzt für Eliteunis. Solche Elitehochschulen bringen Geistesgrößen vom Format eines George W. Bush hervor.“

In der anschließenden Fragerunde will einer wissen, ob Sahra Wagenknecht das Beamtentum abschaffen wolle. Angesichts der vielen Lehrer im Publikum weicht sie aus: „Wenn ein Lehrer Beamter ist, hat er größere Freiräume, politische Dinge zu formulieren.“ Langfristig, wenn es soziale Sicherheit für alle gebe, brauche es aber kein Beamtentum mehr.

Was sie als Linke im Europäischen Parlament erreichen wolle, fragt eine Zuhörerin. „Der europaweite Widerstand braucht eine Ansprechpartnerin, die sagt, wo die nächste Sauerei geplant ist“, antwortet die Kandidatin. Außerdem werde sie „für europäische Mindestsätze bei der Besteuerung von Gewinn und Vermögen“ und „für gesetzliche Mindestlöhne oberhalb des Niveaus in Osteuropa“ kämpfen. Die EU-Osterweiterung habe für die Menschen in Ost und West verheerende Folgen: „Konzerne wie Siemens lassen sich die Produktionsverlagerung durch EU-Subventionen vergolden und die örtlichen Unternehmen gehen pleite.“

Eine Genossin beklagt, dass ihr im EU-Wahlkampf die unsoziale Politik der PDS in der rot-roten Regierung in Berlin vorgeworfen werde. „Ich halte das, was wir in Berlin machen, für falsch“, antwortet Sahra Wagenknecht: „Unser Platz ist da, wo wir Opposition machen können.“

28.05.2004 / Tina Stadlmayer

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