Schüler im Süden lesen und schreiben besser

29.01.2004

In Deutschland hat die soziale Herkunft größeren Einfluss auf den Lernerfolg als in anderen Ländern.


Von Tina Stadlmayer

Viertklässler aus Baden-Württemberg und Bayern können in Deutschland am besten lesen und rechnen. Bei dem gestern vorgestellten Bildungsvergleich der Bundesländer landeten sie auf den Plätzen eins und zwei. Am schlechtesten schnitten die Grundschüler in Bremen und Brandenburg ab.

Insgesamt liegen Deutschlands Viertklässler in der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (Iglu) im oberen Leistungsdrittel. Im Rechnen sind die baden-württembergischen Schülerinnen und Schüler sogar Europameister. Damit schnitten die Grundschüler im internationalen Vergleich deutlich besser ab als vor zwei Jahren die 15-Jährigen bei der Pisa-Studie. Die Grundschulen erfüllen ihren Bildungsauftrag demnach relativ gut, während die weiterführenden Schulen Kinder nicht mehr genug fördern.

Trotzdem sah der deutsche Leiter der Iglu-Studie, Wilfried Bos, gestern keinen Grund zum Jubeln. Denn die Untersuchung ergab auch, dass mehr als ein Drittel der deutschen Grundschüler Schwierigkeiten beim Verstehen von Texten hat. Unter den sieben beteiligten Bundesländern gab es deutliche Unterschiede: Schüler in Baden-Württemberg belegten im internationalen Vergleich beim Lesen Platz fünf hinter Schweden, den Niederlanden, England und Bulgarien. Nordrhein-Westfalen landete im Mittelfeld. Doch die Viertklässler aus Bremen erreichten nur Platz 23. Der Abstand zwischen Bremen und Baden-Württemberg betrage etwa ein Schuljahr, sagte Bildungsexperte Bos.

Außerdem zeigt der Iglu-Schülervergleich – wie schon zuvor die Pisa-Studie – dass in Deutschland die soziale Herkunft der Schüler größeren Einfluss auf den Lernerfolg hat als in anderen Ländern. Die Probleme, die zu den schlechten Leistungen der 15-Jährigen führen, beginnen bereits in der Grundschule: Etwa zehn Prozent der Viertklässler gehören zur Risikogruppe, die kaum lesen kann. Mehr als ein Drittel der Zehnjährigen hatten beim Test Schwierigkeiten, den Sinn der kurzen Texte zu erfassen. „Das ist ein ernstes Problem“, sagte Bos, denn in den weiterführenden Schulen würden diese Fähigkeiten dann vorausgesetzt.

Kinder ausländischer Eltern liegen am Ende der Grundschulzeit in ihren Leistungen ein Jahr hinter den deutschen Kindern zurück. „Andere Länder kriegen das besser hin. Sie fördern diese Schüler gezielt“, erläuterte Bos. Auch der Unterschied zwischen Kindern von gebildeten und weniger gebildeten Eltern ist in Deutschland größer als in den Vergleichsländern. Fast die Hälfte der Grundschüler bekommt zudem nach der vierten Klasse die falsche Schulempfehlung. „Die Chancen, eine Empfehlung für den Übertritt aufs Gymnasium zu bekommen, sind für Kinder aus der oberen Schicht deutlich größer als für Kinder aus der unteren Schicht“, sagte Bos. „Der Sohn eines Chefarztes hat auch bei mittlerer Leistung eine viel höhere Chance, aufs Gymnasium zu kommen; die Tochter einer türkischen Putzfrau hat es auch bei sehr guter Leistung schwer.“

In Baden-Württemberg ist die Chance für ein Kind aus der gehobenen Schicht, die Gymnasialempfehlung zu bekommen, sogar sechsmal höher als für ein Kind aus einfachen Verhältnissen. CDU-Kultusministerin Annette Schavan sagte, sie finde das nicht so problematisch, denn in ihrem Land sei das Schulsystem relativ durchlässig. Ein Drittel der baden-württembergischen Abiturienten sei zunächst auf die Haupt- oder Realschule und dann auf ein berufliches Gymnasium gegangen.

Die Ministerin räumt ein, dass das gute Abschneiden ihres Landes nicht nur mit der Schulpolitik, sondern auch mit dem dort herrschenden hohen Bildungsbewusstsein zusammenhängt. Trotzdem gebe es immer noch ein „großes Gerechtigkeitsproblem“, sagte die Ministerin. Die Bildungschancen der Kinder aus ausländischen und bildungsfernen Familien könnten durch den Bau von Ganztagsschulen in sozialen Brennpunkten erhöht werden. Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn nannte die vielen falschen Empfehlungen nach der vierten Klasse den „alarmierendsten Befund“ der Studie. „Wir verbauen Kindern damit Chancen auf ihre Zukunft und verschenken Bildungsreserven“, sagte die Sozialdemokratin. Auch die Lehrergewerkschaft GEW kritisierte die Empfehlungen nach der vierten Klasse als „Farce“. Sie spiegelten mehr die Herkunft als die Fähigkeiten der Schüler wider.

Bremen will nach dem schlechten Abschneiden seiner Viertklässler externe Experten in die Schulen schicken. Sie sollen die bereits eingeleiteten Schulreformen überprüfen. SPD-Bildungssenator Willi Lemke bezeichnete das Ergebnis für Bremen als „äußerst deprimierend“ und den Abstand zu anderen Ländern als besorgniserregend. Nordrhein-Westfalens SPD-Schulministerin Ute Schäfer sagte, es sei beunruhigend, dass Kinder aus unteren Schichten schwächere Leistungen zeigten.

29.01.2004 / Tina Stadlmayer

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