Goldener Handschlag

14.06.1993


Wegen des Wirtschaftsabschwungs ist in Japan der bisher gewohnte Arbeitsplatz auf Lebenszeit in einem Unternehmen nicht mehr garantiert Wenn sich die wirtschaftliche Lage weiter verschlechtert, wird es ernst für uns. Einsparungen sind nicht mehr drin“, sagt Susumu Saito.

So wie dem Mann mit dem japanischen Allerweltsnamen Saito geht es zur Zeit vielen Japanern. In den Jahren des Wirtschaftsbooms kamen sie mit dem Geld gerade aus. Jetzt, in der Wirtschaftsflaute, wird es eng. Obwohl Japan eines der reichsten Länder der Welt ist, bekamen die meisten seiner Einwohner nur ein kleines Stück vom Wohlstandskuchen ab.

Susumu Saito arbeitet als leitender Lektor in einem Tokioter Verlag mit 600 Angestellten. Die Firma gibt Schulbücher, Lexika und Magazine heraus. Wie viele mittelständische Betriebe geriet der Verlag wirtschaftlich unter Druck: Wegen der Wirtschaftsflaute sparen die japanischen Konsumenten. Dazu geht die Zahl der Kinder zurück. Die Verlage verkaufen deshalb weniger Schulbücher.

Susumu Saito rechnet mit dem Schlimmsten: „Wenn sich die Lage der Firma weiter verschlechtert, schicken sie mich vielleicht in den vorgezogenen Ruhestand. Dann wird es für mich schwer, meine Familie zu ernähren.“ Der Lektor müßte sich nach einer neuen Arbeit umsehen: „Wenn überhaupt, könnte ich vielleicht einen Job als freiberuflicher Korrekturleser bekommen.“ Dann würde er deutlich weniger verdienen als heute.

Nach Jahren des Wirtschaftsbooms hat die Rezession auch Japan erwischt. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt zwar erst knapp über zwei Prozent, aber sie steigt stetig. Experten rechnen 1993 mit mindestens 18 000 Firmenpleiten, 30 Prozent mehr als 1992.

Viele Betriebe legen heute ihren älteren Angestellten nahe, früher den Hut zu nehmen, obwohl jeder Japaner erst ab dem 60. Lebensjahr Rente kassiert. Die Japaner fürchten den „goldenen Handschlag“: Wer nicht mehr gebraucht wird, bekommt eine Abfindung angeboten. Die Firmenleitung erwartet, daß der Arbeitnehmer darauf eingeht und von sich aus kündigt.

Sollte der Angestellte sich weigern, kann es unangenehm werden: Es gibt für ihn plötzlich nichts mehr zu tun, manchem wird das Telefon abgestellt, oder an seinem Schreibtisch sitzt auf einmal ein anderer.

Auch Festangestellte können heute nicht mehr sicher sein, daß sie in ihrer Firma einen Arbeitsplatz auf Lebenszeit haben. Die Stahlunternehmen, eine große Telefongesellschaft, die Automobilindustrie wollen Tausende von Arbeitsplätzen abbauen. Manche Büroangestellte werden heute über Land geschickt, um den Verkauf anzukurbeln.

Susumu Saito ist seit mehr als zwanzig Jahren bei seiner Firma und bekommt inzwischen etwa 6000 Mark im Monat. Dazu gibt es acht Monats- gehälter im Jahr als Bonus. „Der Bonus wurde uns in diesem Jahr um 20 Prozent gekürzt“, sagt der 48jährige.

Einige Firmen haben ihre Überstunden abgebaut. Nicht alle Angestellten sind froh darüber, denn sie kalkulieren mit den zusätzlichen Einnahmen.

Der japanische Arbeitnehmer verdient zwar mehr als der deutsche, doch sind die Lebenshaltungskosten in Japan erheblich höher. In Tokio kostet eine 70 Quadratmeter große Mietwohnung umgerechnet mindestens 3000 bis 4000 Mark im Monat. Die Saitos haben deshalb für 850 000 Mark eine Wohnung gekauft. Langfristig ist das günstiger. Allerdings müssen sie einen hohen Kredit zurückzahlen.

Für die Aufnahme des zehnjährigen Sohnes Takuya in eine private höhere Schule muß die Familie – je nach dem Berühmtheitsgrad der Schule – 7000 bis 10 000 Mark und Jahresgebühren von 5000 bis 6000 Mark zahlen. Eine staatliche Schule wäre billiger, aber Abgänger von Privatschulen haben bessere Chancen, in eine gute Universität aufgenommen zu werden. Und das wiederum läßt anschließend auf einen guten Arbeitsplatz hoffen.

Bis vor kurzem rissen sich die Firmen schon vor dem Abschluß um Universitätsstudenten. Auch das hat sich geändert. Längst nicht mehr alle bekommen einen guten Job. Einige Unternehmen zahlten in diesem Jahr Studenten, denen sie einen Arbeitsplatz zugesagt hatten, hohe Abfindungen. Die Firmen hatten plötzlich gemerkt, daß sie sich keine neuen Mitarbeiter mehr leisten konnten.

Die Familie Saito spart die Kosten für ein Auto, einschließlich des teuren Stellplatzes. „In Tokio ist das Autofahren sowieso unpraktisch“, tröstet sich der Vater. Er muß sich dafür jeden Morgen eine Stunde lang in die vollen Bahnen quetschen.

Die Regierung hat versprochen, die Wirtschaft mit einem Milliarden- programm anzukurbeln. Über ihre Ankündigung, Japan werde eine „Supermacht der Lebensqualität“ – in den Bahnen werde es bald genügend Platz zum Zeitungslesen geben -, kann der Angestellte nur lachen.

Auf die japanischen Politiker ist Susumu Saito nicht gut zu sprechen: „Sie sacken Millionen an Bestechungsgeldern von Unternehmen ein.“ Goldbarren, Bargeld und Anleihen im Wert von 80 Millionen Mark haben Justiz- beamte im Büro des ehemaligen Generalsekretärs der Regierungspartei, Shin Kanemaru, 78, gefunden. Für jemand wie Saito eine unvorstellbare Summe.

... JAPAN: Goldener Handschlag - weiter lesen auf FOCUS Online: http://www.focus.de/politik/ausland/japan-goldener-handschlag_aid_143393.html

14.06.1993 / Tina Stadlmayer

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