Schmutzig und hart

08.11.1993

Das Militär in Japan will sein mieses Image aufpolieren. Politischer Streit über Streitkräfte, die es nach der Verfassung gar nicht geben darf


Von Tina Stadlmayer

Noch immer werden Japan und Deutschland in den Statuten der Vereinten Nationen ihrer militari- stischen Vergangenheit wegen als „Feindstaaten“ geführt. Dabei streben beide Länder einen ständigen Sitz im UNO-Weltsicherheitsrat an.

Bundesverteidigungsminister Volker Rühe konnte in der vorigen Woche bei seinem Besuch in Tokio noch über eine andere Gemeinsamkeit klagen: Wegen der Fesseln, die die Verfassung beiden Regierungen auferlegt, gibt es in Deutschland wie in Japan eine heftige Diskussion über eine Beteiligung an UNO-Blauhelmeinsätzen. Rühe und sein Amtskollege Keisuke Nakanishi, der in Japan verschämt „Ge- neraldirektor der Verteidigungsagentur“ heißt, weil die Verfassung eigentlich gar keine Streitkräfte zuläßt, tauschten Erfahrungen über die Blauhelmeinsätze ihrer Soldaten aus. Der Deutsche klagte über die mangelnde Absprache zwischen dem UNO-Hauptquartier und Blauhelmtruppen in Somalia. Der Japaner nannte den ersten Einsatz seiner Landsleute unter dem blauen Helm in Kambodscha einen Erfolg.

Japan hatte 600 Soldaten nach Kambodscha geschickt. 50 japanische Blauhelme dienen noch in Mosambik. In Bonn wie in Tokio streiten sich Regierung und Parlament über die Aufgabe der Armee, über die Beteiligung an UNO-Missionen und über eine Verfassungsänderung, die militärische Einsätze im UNO-Rahmen zuläßt. Die Pazifisten in Japan berufen sich auf die Verfassung, in der es heißt: „Das Land unterhält keine Streitkräfte und verzichtet auf die Androhung und die Anwendung von Gewalt, um internationale Konflikte zu lösen.“

Diese Verfassungsbestimmung wurde in der Vergangenheit dadurch umgangen, daß die bewaffneten Ein- heiten „Selbstverteidigungskräfte“ genannt wurden. Tatsächlich verfügt Japan über eine hochmoderne Armee. Weit auseinander gehen die Meinungen innerhalb der seit wenigen Monaten regierenden Achtparteienkoalition über die künftige Rolle des japanischen Militärs. Japans Sozialdemokraten halten die „Selbstverteidigungskräfte“ und damit auch deren UNO-Einsätze für nicht verfassungsgemäß. Sie möchten die Ausgaben für das Militär reduzieren. Vor allem wehren sie sich gegen die Anschaffung amerikanischer AWACS-Flugzeuge und Patriot-Raketen.

Finanzminister Hirohisa Fujii von der Erneuerungspartei möchte den Verteidigungsetat im kommenden Haushalt wenigstens nicht erhöhen. Sein Argument: Wegen des Zerfalls der Sowjetunion sei Japan heute weniger bedroht als früher. Parteifreund Verteidigungs-Generaldirektor Nakanishi plädiert dagegen für eine schlagkräftigere Armee. Er möchte die UNO-Einsätze zur Hauptaufgabe der Streitkräfte machen. Sein Sprecher Takahiro Goto: „Die UNO-Einsätze sind eine gute Gelegenheit für unsere Soldaten, ihren Stolz wiederzufinden.“ Bisher sei die Armee hauptsächlich bei Naturkatastrophen eingesetzt worden. „So etwas hat natürlich kaum militärischen Wert.“ Der unter Nachwuchsmangel leidenden Armee könnte die schlechte Wirtschaftslage Japans zu Hilfe kommen. Junge Leute finden nicht mehr so schnell einen Job in den Unternehmen und entscheiden sich deshalb eher für eine Militärkarriere.

In Japan gilt der Militärdienst als „kiken, kitanai, kikui“ – gefährlich, schmutzig, hart. In der japanischen Berufsarmee dienen 228 000 Soldaten und 8000 Soldatinnen. Die Sollstärke beträgt 273 000

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